In der Schule des Aufstands

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Laila Soliman & Ruud Gielens: Lessons in Revolting
Wo: Theater Spektakel, Club
Wann: 29.08.2011 bis 31.08.2011
Bereiche: Performance, Theater Spektakel 2011

Die Autorin

Stefan Schöbi: Jahrgang 1977, Theaterwissenschaftler und Germanist, arbeitet als stv. Leiter Kommunikation und Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste und ist Initiant des Kulturblogs kulturkritik.ch.

Die Kritik

Lektorat: Fabienne Schmuki.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).

Von Stefan Schöbi, 30.8.2011

Der Titel ist treffend. Dies ist eine Schule des Aufstands, es sind «Lessons in Revolting», von der jungen ägyptischen Regisseurin Laila Soliman zu einer losen Gesamtkomposition zusammengestellt, die sie laufend verändern will. Der Unterricht beginnt inhaltlich bei der Mobilisierung des Einzelnen und endet mit der Gleichschaltung in der Massendemonstration. Die Themen des Unterrichts sind der Umgang mit Zweifeln, das Ertragen von psychischem Druck aber auch von physischer Gewalt bis hin zur Folterung. Lektionen sind es auch deshalb, weil dieser Abend spürbar politisch sein und etwas bewirken will.

Crescendo der Choreografie

Formal trägt der Abend alle Charakteristika einer Multimedia-Performance. Eine grossformatige Filmprojektion bringt Originaldokumente ins Spiel und viel O-Ton vom Kairoer Tahrir-Platz, wo die Massenproteste zwischen dem 25. Januar und dem 11. Februar 2011 stattfanden. Unter der Leinwand bewegen sich die sechs ägyptischen Künstlerinnen und Künstler, die alle selber am Aufstand teilgenommen haben, mal einzeln, mal in Gruppen. Sie kommen ursprünglich von der Musik, vom Tanz, von der Videokunst, der Fotografie, dem Theater und dem Film. Ihre Beiträge sind oft choreografisch-tänzerisch, manchmal wird gesungen, ein blinder Musiker am Oud, der arabischen Laute, begleitet einige Lieder.

Immer wieder übertönen Einspielungen von Originaldokumenten das Geschehen auf der Bühne. Nicht nur akustisch: Gegen die starken Bilder der Revolution, aufgenommen von einzelnen Demonstrantinnen und Demonstranten, haben die Choreografien letztlich wenig Kraft. Nicht ihre künstlerische Qualität zeichnet sie aus, sondern die Verwurzelung im gerade erst Erlebten, in der eigenen Erfahrung der Revolution. So gesehen ist es gerade umgekehrt: Es ist der Aufstand selbst, der den allesamt etwa 30-jährigen Performerinnen und Performern eine Lektion erteilt hat. Sie scheinen noch etwas benommen von dieser Erfahrung, die Zuschauer spüren aber, dass ihre Lebensgeschichte davon geprägt wird. Erst als die Leinwand im letzten Drittel des Stücks gänzlich schwarz bleibt und nur noch den (wegen des hohen Sprechtempos allerdings kaum lesbaren) englischen Übertiteln dient, entfaltet sich Atmosphäre. Die Aktivisten werden zu Künstlern, die Choreografien gewinnen an Kraft. Das Theater findet sich wieder.

Gefangen in der jungen Vergangenheit

In dieser Spannung zwischen medial dokumentierter Zeitgeschichte und ihrer Verarbeitung mit den Mitteln der performativen Künste liegt die Problematik, aber auch die Essenz des Abends. Das dokumentarische Material dazu ist auf YouTube, Twitter und Facebook verfügbar. Es wird hier zu einer subjektiven Erzählspur zusammen geschnitten. Der dokumentarische Film arbeitet mit Mitteln, denen die Performance wenig entgegen zu setzen hat. Erst als er abbricht, werden die Darstellerinnen und Darsteller wirklich lebendig. Die Choreografien machen ihre Verletzlichkeit und die Grenzen ihrer körperlichen Kräfte sichtbar. Allerdings: Der Abend bleibt unausgewogen, zu spät gewinnt die Performance die Überhand.

Deshalb zurück an den Anfang der Revolution. Es sind beeindruckende Filmdokumente, welche Laila Soliman und der belgische Theatermann Ruud Gielens (der ebenfalls nach Kairo reiste und an den Protesten teilnahm) zusammengestellt haben. Die kurzen Film-Statements von Beteiligten wurden aufgezeichnet vor Ort am Tahrir-Platz, im Auto auf der Fahrt dorthin, in Wohnungen, an Küchentischen, in Hinterhöfen. In diesen Momenten ist alles offen: Solidarisieren sich die Menschen untereinander, wird dadurch eine kritische Masse erreicht? Werden Polizei und Militär intervenieren? Lösen die Demonstrationen politische Instabilität aus und wie könnte sich diese auswirken? Und immer wieder: Werden sie schiessen? – Das Graffito «Game over Mubarak», in einer kurzen Einstellung eingeblendet, war zuerst lange Zeit eine vage Hoffnung, bevor sie zur Realität wurde. Die eingespielten TV-Auftritte des Machthabers machen dies deutlich. Erst Mubaraks Rücktritt am 11. Februar fixierte jene vorläufige Dramaturgie der Ereignisse, welche sich aus heutiger (und europäischer) Sicht bereits wie Geschichte anfühlt.

Der Arabische Frühling aber ist noch nicht zu Ende, obwohl der Widerstand der ägyptischen Bevölkerung seit dem Sturz Husni Mubaraks für die westlichen Nachrichten nicht mehr von Interesse ist. Für die nachhaltige Neuordnung der ägyptischen Politik ist er weiterhin von grösster Bedeutung. Für dieses Umdenken ist Laila Solimans Intervention ein wertvoller kultureller Beitrag.

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