Forschende im Spielzimmer

Die Veranstaltung
Was: Lagartijas tiradas al sol: El Rumor del Incendio
Wo: Theater Spektakel, Süd
Wann: 29.08.2011 bis 01.09.2011
Bereiche: Performance, Theater, Theater Spektakel 2011
Die Autorin
Elena Ibello: 1982 geboren, seit 2003 freie Journalistin. Im Master-Studium Art Education, publizieren&vermitteln, an der ZHdK.
Die Kritik
Lektorat: Lukas Meyer.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).
Von Elena Ibello, 30.8.2011
Wird die Zukunft besser, wenn man sich kritisch mit der Vergangenheit auseinandersetzt? Das mexikanische Trio «Lagartijas tiradas al sol» (zu deutsch: «Echsen, die sich sonnen») wühlt in «El rumor del incendio» («Das Knistern des Feuers») zünftig in der Geschichte seines Landes. Die beiden Herren (Francisco Barreiro, Gabino Rodríguez) und die eine Dame (Luisa Pardo) setzen sich schon seit zwei Jahren intensiv mit der Guerilla-Vergangenheit auseinander, in der Hoffnung auf eine gute Zukunft. Diese Hoffnung scheint direkt von der Bühne zu springen: Ein farbenprächtiges Bühnenbild beherbergt neben einer Bank und einem Tisch mit Stühlen unzählige Spielsachen. Da gibt es eine Modelleisenbahn, Spielzeugautos, Soldatenfiguren, ein Modellflugzeug und sogar Playmobil-Männchen. Die Bühne gleicht einem Kinderzimmer, so hoffnungsvoll und romantisch wie die Zukunftsvorstellungen eines durchschnittlichen Dreikäsehochs.
Verstörende Gräueltaten
Ganz im Gegensatz zur Vergangenheit, die hier auf der Bühne ausgebreitet, seziert und interpretiert wird. «El rumor del incendio» hält Rückschau auf eine Realität, die wohl jeder Utopie widersprach. Nämlich auf die Realität im Mexiko der 60er- bis 80er-Jahre, als der Partido Revolucionario Institucional PRI herrschte und die Guerilla-Bewegung aktiv war. Zur Einführung wird erst einmal aus der mexikanischen Verfassung zitiert. Und zwar jener Artikel, der dem Volk Souveränität und Freiheit garantiert und es explizit dazu ermächtigt, die eigene Regierung zu bestimmen und sie auszuwechseln, sollte sie die Freiheit des Volkes beschneiden. Der Artikel stand bereits vor der mexikanischen Guerilla-Bewegung so in der Verfassung.
Doch die Realität sah anders aus. Einige Bauern und Arme bäumten darum auf. Es wurden immer mehr. Guerilla-Truppen schossen seit den 60er-Jahren wie die Pilze aus dem Boden. Was die «Lagartijas» präsentieren, ist eine grausame, verstörende Aneinanderreihung von Gräueltaten gegen Demonstranten und jugendliche Idealisten, grausamer Folter und sogenannten Unfällen von Freiheitskämpfern. Hinzu kommen die Gewaltakte der Guerilleros gegen Polizisten, Beamte, Politiker und deren Angehörige. Das Spielzimmer wird zum Kriegsschauplatz.
Bei der Guerillera zur Plauderstunde
Die Form, die das Trio für die Präsentation dieser mexikanischen Geschichtslektion findet, ist wiederum alles andere als düster, sondern sehr vielfältig und einfallsreich. Die Erzählung kennt eine Heldin: die ehemalige Guerillera, Historikerin und Lehrerin Margarita Urías Hermosillo. Sie erzählt aus ihrem Leben, als hätte sich das Publikum bei ihr im Wohnzimmer zur gemütlichen Plauderstunde eingefunden. Immer wieder finden Rückblenden statt in Momente aus ihrem Leben oder in grosse Ereignisse der Vergangenheit, die mit ihrer Geschichte in Verbindung stehen. Diese werden manchmal anhand von Zeitdokumenten wie Protestparolen, Zeitungsartikeln oder Ausweispapieren erzählt. Manchmal schlüpfen die drei in die Rollen der Akteure der Zeit, hin und wieder werden originale Videoausschnitte eingespielt. Und oft spielen sie mit den Spielsachen Kriegsszenen nach und übertragen diese per Videokamera direkt auf die Leinwand. Und vergessen dabei nicht, auch die Geräusche der Geschosse und die Schreie der Soldaten nachzuahmen, wie es Kinder beim Spielen eben tun. Die Übergänge zwischen diesen so unterschiedlichen Präsentationsformen sind fliessend und gekonnt. Die ganze raffinierte Collage ist bis ins letzte Detail durchgedacht und arrangiert, wirkt dabei aber nie mechanisch.
Trauer und Hoffnung
Eines wird bei dieser Performance schnell klar: Diese Leute wissen, wovon sie erzählen. Und sie erzählen vieles, was wohl nicht schon in jeder zweiten Zeitung gestanden ist. Intensive, ausgedehnte Recherchen liegen der Präsentation zugrunde und obwohl die Künstler offenbar versuchen, die Geschehnisse rational zu erfassen, sie zu ordnen und wie Historiker in einen Zusammenhang zu bringen, fühlen sie sich scheinbar direkt betroffen. Die Emotionen sind hier stets mit im Spiel. Mal ist Ironie, mal Fatalismus, mal Hoffnung und mal Empörung zu spüren. Und Trauer. Am Ende steht nicht mehr Margarita Urías Hermosillo auf der Bühne, sondern ihre Tochter. «Ich habe meine Mutter immer arbeitend und kämpfend gekannt», sagt diese und beschreibt dann den letzten Lebensabschnitt der Kämpferin. Bis zum Schluss hat diese an den Erinnerungen an die Zeit im Gefängnis gelitten. Und ist am Ende an Krebs gestorben, während ihre Tochter an ihrem Bett stand und ihr mit den Händen die kalten Füsse wärmte. Wie es sich für Forschende gehört, beenden «Lagartijas» ihre Performance nicht mit einer Aussage, sondern mit einer Frage: «Worüber werden unsere Kinder wohl einmal berichten?»