Über die Unmöglichkeit des Möglichen
Die Veranstaltung
Was: Jessica Huber/A®TEM: The Rebellion of the Silent Sheep
Wo: Tanzhaus Zürich
Wann: 24.11.2011
Bereich: Tanz
Die Autorin
Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.
Die Kritik
Lektorat: Moritz Weber.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Tanzhaus Zürich (siehe Unabhängigkeit).
Von Fabienne Schmuki, 26.11.2011
«Writing about music is like dancing about architecture.» Diese Aussage (ob sie von Elvis Costello, Steve Martin oder Frank Zappa stammt, ist umstritten) lässt sich im Geiste von The Rebellion Of The Silent Sheep folgendermassen formulieren: Über Musik zu tanzen ist wie über Architektur zu schreiben. Und schon ist die Gleichung, einmal umformuliert, gar nicht mehr unmöglich.
Wer versteht denn schon
Wo liegt der Unterschied, ob ein Fan am Metal-Konzert die Haare mit vollem Oberkörpereinsatz nach vorne schwingt oder ob der Gitarrist mit fast denselben Bewegungen das Beste aus seinem Instrument rausholt? Musik und Tanz sind Arbeit am Ausdruck von Gefühlen. Musik kann Banales transportieren, Melancholisches, Fröhliches, Lustiges oder Belangloses, genauso wie Tanz.
Musik kann nach Schmerz tönen und von Liebe erzählen. Musik kann nach Liebe tönen und von Schmerz erzählen. Wer hört denn schon genau hin? Und wer versteht denn schon? Dabei will der Musiker doch gar nicht verstanden werden, genauso wenig wie der Tänzer. «Ich weiss nicht, ob man immer alles genau ‘verstehen’ muss, was auf der Bühne passiert», sagt die Choreografin des Stücks, Jessica Huber, gegenüber dem Züritipp. «Berührt sein reicht für mich auch. Sonst würde ich wohl versuchen, ein Buch zu schreiben.» Über Archtitektur?
Im Takt der Atmung
The Rebellion Of The Silent Sheep will also gar nicht unbedingt übersetzen. Die Vermittlung basiert auf einer rein emotionalen Ebene. Performance, Tanz, Musik und Sprache werden zu einer Symphonie aus grossen Gesten. Und wenn der Körper schon längst wieder stillsteht, tanzen die Leidenschaft, die in der Brust sitzt, und die Liebe, die im Schoss sitzt, miteinander noch Walzer zum Dreivierteltakt der Atmung.
Die Performance-Künstler Géraldine Chollet, Chris Durussel, Mathis Kleinschnittger und Barbara Schlittler bringen dem Publikum nahe, was sie denken, fühlen und verlangen. Wir lachen, wenn Barbara Schlittler davon singt, dass sie mit 25 noch Träume hatte und heute, wo sie eigentlich alles hat, traurig darüber ist, dass sie keine Träume mehr hat. Wir weinen, wenn Géraldine Chollet nach einem Mann verlangt, 30 oder 35 Jahre alt und gutaussehend, der sie berührt, nur für einen Abend, nur für den Moment. Was zählt denn noch, ausser dem Moment, das Jetzt indem alles stattfindet: die Musik, die Emotionen, die Bewegungen, die Liebe.
Die Versöhnung mit uns selbst
Die amerikanische Rockband Eels singt vom Verlangen. «My longing is a pain, a heavy pressure on my chest», heisst es in dem Song. Doch vielleicht liegt das Verlangen auch in den Knien, und das Bedauern liegt in der Brust. Was also, wenn die Knie weiter nach vorne wollen, dem Verlangen nachjagen, während das Bedauern über verpasste Chancen einen zurückhält? Der Körper kämpft mit sich selbst, dabei sehnt er sich nach Versöhnung. «My longing is a friend, a way to stay close» – das Leiden des gepeinigten Sängers sucht sich mit seinen eigenen Emotionen zu versöhnen.
Der Choreografin Jessica Huber ist es gemeinsam mit ARTEM in dieser Performance gelungen, dem Zuschauer aufzuzeigen, dass man über Musik tanzen kann, über Tanz verstehen und über das Verstandene auch schreiben kann. Der Takt kommt aus uns selber, er pumpt durch unsere Venen, die diesen Körper beleben, wie die Musikliebhaber den Konzertsaal, der sonst nicht mehr ist, als ein leerer Raum. Architektur halt. Worüber sich übrigens ganz hervorragend schreiben lässt.