Folter als Normalität
Die Veranstaltung
Was: In the Penal Colony
Wo: Theater der Künste, Bühne A
Wann: 20.05.2011 bis 22.05.2011
Bereich: Musik
Die Autorin
Gabriele Spiller: Kulturvermittlerin, Journalistin und Autorin: http://gabriele-spiller.jimdo.com
Die Kritik
Lektorat: Lukas Meyer.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).
Von Gabriele Spiller, 21.5.2011
«Ich akzeptierte die Einladung zur Exekution aus Höflichkeit.» Mit diesen Worten beginnt die Kammeroper «In the Penal Colony» des zeitgenössischen US-amerikanischen Komponisten Philipp Glass. Damit ist ein Leitmotiv des makabren und absurden Spiels bereits umrissen: Es geht um die passive Akzeptanz einer unmenschlichen Tötungsmaschinerie, vor dem Hintergrund, sich nicht in fremde Angelegenheiten einmischen zu wollen.
Der Besucher der Strafkolonie ist ein Forschungsreisender, hier der Tenor Michael Bennett, und sein Gastgeber der Offizier, ist Bariton Herbert Perry. Die beiden exzellenten Sänger haben bereits in Grossbritannien diese Rollen übernommen. Für die künstlerische Leitung der Aufführungen des Zürcher Kammer Orchesters (ZKO) konnte Andrea Molino gewonnen werden. Dieser dirigiert das zwanzigköpfige Streichensemble souverän und präzise. Die Originaleinrichtung sieht nur eine fünfköpfige Besetzung vor, doch hier hat Glass, momentan «Composer in Residence» beim ZKO, die musikalische Ausstattung verstärkt.
Man gewöhnt sich an alles
Der dichte Klangteppich mit den für Glass charakteristischen Repetitionen hat die Wirkung einer suggestiven Filmmusik. Der mehrfach oscarnominierte Filmkomponist («Koyaanisquatsi», «The Truman Show», «The Hours») unterstreicht damit seine Überzeugung, dass die Kraft der menschlichen Imagination stärker ist als alle Bilder. Dies gilt auch für Franz Kafkas Erzählung «In der Strafkolonie» von 1919, die dieser Oper zugrunde liegt. Kafkas sadomasochistisch angehauchte Beschreibungen einer fehleranfälligen Folter- und Tötungsmaschine lassen den Leser erschaudern.
In der musikalischen Umsetzung ist es die monotone Wiederholung der Akkorde, die die beklemmende Atmosphäre in der Strafkolonie beschwört. Die Klänge bohren sich ins Fleisch wie die Nadeln, die rhythmisch die Haut des Verurteilten punzieren. Folter als Normalität: Wenn sich die Dissonanz nur oft genug wiederholt hat, gewöhnt sich der Zuhörer daran. Ein Effekt, der durch den meist warmen, weichen Klang des Zürcher Kammerorchesters noch verstärkt wird.
Niemand übernimmt die moralische Verantwortung
Offizier und Besucher schauen sich nie in die Augen. Sie leben und argumentieren in unterschiedlichen Welten. «Es ist immer bedenklich, in fremde Verhältnisse entscheidend einzugreifen» überlegt der Reisende bei Kafka. Erst als der Offizier den Gast zu seinem Komplizen machen will, indem dieser die Maschinerie gegenüber dem neuen Kommandanten verteidigen soll, blicken sie sich erstmals an. Der Reisende outet sich zwar als Gegner dieses Verfahrens, will seine Meinung aber nur unter vier Augen beim Kommandanten platzieren und nicht offen Partei ergreifen. «Sie sind in europäischen Anschauungen befangen, vielleicht sind Sie ein grundsätzlicher Gegner der Todesstrafe» hatte schon der Offizier vermutet, der sich in aller Konsequenz am Ende selbst der Marter unterzieht.
Der kongenialen szenischen Umsetzung durch Studierende der Departemente Darstellende Künste und Medien und Kunst der Zürcher Hochschule der Künste ist zu verdanken, dass die Aufführung von «In the Penal Colony» zu einem beeindruckenden Erlebnis wird, das unter die Haut geht, ohne ein einziges grausames Bild gezeigt zu haben. Die Sänger, schlicht schwarz gekleidet, stehen vor dem auf der Bühne agierenden Orchester. Den Hintergrund stellt ein perforierter schwarzer Vorhang dar, auf den stellenweise Textabschnitte oder die abstrakten Muster der Tötungsmaschine projiziert werden.
Wünschenswert wäre allerdings ein adäquates Programmheft gewesen, da offenbar nicht alle Zuhörer verstanden, was bei dieser englisch gesungenen Oper auf der Bühne geschah. So wurde einigen die achtzigminütige Aufführungsdauer lang. Auch wären bereits am Premierenabend Informationen von Amnesty International angebracht gewesen, denen der nächste Abend zum 50. Jubiläum gewidmet war. Vielleicht sollte aber auch unterstrichen werden, dass Glass selbst die Parabel zur Interpretation durch den Zuhörer offen lässt.