Zwei Fussballer spielen Ping Pong

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Ilay den Boer & Het Huis van Bourgondië: This is my dad
Wo: Theater Spektakel, Süd
Wann: 23.08.2011 bis 25.08.2011
Bereiche: Performance, Theater

Die Autorin

Elena Ibello: 1982 geboren, seit 2003 freie Journalistin. Im Master-Studium Art Education, publizieren&vermitteln, an der ZHdK.

Die Kritik

Lektorat: Fabienne Schmuki.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Theater Spektakel (siehe Unabhängigkeit).

Von Elena Ibello, 24.8.2011

«My father and I are very different», eröffnet Ilay den Boer den Abend, an dem er in «This is my dad» den Unterschieden zwischen ihm und seinem Vater Gert den Boer auf den Grund gehen will. Er hat den Verdacht, dass sie so verschieden sind, weil er Jude ist (aber nicht religiös) und sein Vater Nicht-Jude (und Ex-Protestant). Eine Theorie, die dem Vater bei den Haaren herbei gezogen erscheint. Doch er ist gewillt, sich der Frage nach den Unterschieden zu stellen und lässt sich dazu nicht nur von seinem Sohn über sein Leben ausquetschen, sondern auch vom Publikum. Was entsteht, ist eine Plauderstunde, moderiert von Ilay den Boer. Im Publikum sitzen die Neugierigen, den gesamten Lebenslauf Gert den Boers in den Händen, und stellen zu einzelnen Ereignissen im Leben des Vaters Fragen, während dieser freimütig von seinen Jugendsünden, der ersten erlebten Intifada oder seinem frühen Kirchenaustritt erzählt. Spannende Geschichten aus einem ungewöhnlichen Leben, doch fügt sich lange nichts in ein grösseres Ganzes, mäandert die Performance scheinbar dramaturgie- und ziellos vor sich hin. Erste Zuschauer verlassen die Plauderstunde. Ilay und Gert verabschieden sie höflich.

Vom Erzähler zum Zuhörer

Und dann kommt zwischen all den kleinen und grossen Unterschieden eine ausgeprägte Gemeinsamkeit zum Vorschein. Beide lieben und spielen Fussball. Beide glaubten an das Talent Ilays als Torhüter, sie schwelgen in Erinnerungen der grossen Erfolge, überbieten sich mit Schwärmereien für ausgeführte Manöver und grosse Fussballer. Sie feiern ihre Leidenschaft, offensichtlich eine gemeinsame Religion, die sie nicht zu haben behaupten. In der Euphorie dieser Gemeinsamkeit wird die Liebe zwischen den Ungleichen überdeutlich. Plötzlich ist man nach einer latent gelangweilt-enttäuschten Stimmung zu Tränen gerührt. Freude in der Brust. Bis Ilay erzählt, weshalb seine Leistung im Goal des angesehenen holländischen Clubs vor über zehn Jahren plötzlich immer schlechter wurde. Und nun wird auch der Vater auf der Bühne zum Zuhörer.

Ignoranz statt Verständnis

Ilay war 13, als seine Kameraden erfuhren, dass er Jude ist. Er erzählt, wie die Buben ihn von dem Zeitpunkt an drangsalierten, tätlich angriffen, demütigten. Und spricht von Antisemitismus. An diesem Punkt erhebt sein Vater Einspruch: «Das ist doch kein Antisemitismus.» – «Was denn dann?» – «Dummes, engstirniges, unreflektiertes Getue.» Wie Ilay den Boer die Demütigung ganz plötzlich und übergross ins Gesicht geschrieben steht, beklemmt. «Du hast mir nie davon erzählt», wirft ihm sein Vater vor. «Ich dachte, du würdest mir nicht glauben», antwortet der Sohn, zerrissen von Enttäuschung, Zorn und Trauer.

Das Thema Antisemitismus wird zum Mittel zum Zweck. Es geht auf einmal nicht mehr um Politik, sondern um Würde, um Demütigung und Liebe. Was löst es in einem Menschen aus, wenn er – eben noch gefeierter Held – wie minderwertiger Dreck behandelt, beschimpft, gequält wird? Und was bräuchte er in dieser Situation?

Ilays Vater streitet vehement ab, dass all diese grausamen Dinge, von denen sein Sohn erzählt, überhaupt je stattgefunden haben. «Mein Sohn hatte immer ein grosses Talent für grosses Drama.» Der Sohn stimmt dem zu. Was ist wahr? Was nicht? Ist der Vater wirklich so naiv, gar blind? Hat der Sohn harmlose Hänseleien in seinem Kopf zu brutaler Gewalttätigkeit fantasiert? Spielt es überhaupt eine Rolle?

Schablonen im Kopf

In schierer Verzweiflung will Ilay seinem Vater die Augen öffnen. Scheinbar lechzend nach dem Glauben und dem Trost seines Vaters, der ihm stets lehrte, dass es zwischen den Menschen keine Unterschiede gibt und Vorurteile giftig sind. Er führt ihm alles vor, was seine Vorfahren über sich ergehen lassen mussten, erzählt bis ins Detail, was die rassistischen Buben mit ihm gemacht hatten, spielt es nach, drängt seinen Vater in die Rolle des Gedemütigten. Die Beklemmung wird fast unerträglich. Doch die Erlösung durch einen Glauben und Verständnis zeigenden Vater kommt nicht. Stattdessen führt dieser der versammelten Menge vor Augen, wie die Schablonen im Kopf uns allen Streiche spielen, wie wir – die Gerechtigkeit auf der Fahne – vorverurteilen und dabei behaupten, wir würden uns für die ungerecht Behandelten einsetzen. Der Vater bietet dem Sohn Trost und Liebe, aber keine Zustimmung. Der Schluss bleibt in einer diffusen Handlung des Vaters undeutlich, vage. Und dabei erhellend.

Ilay den Boer und sein Vater schaffen es, mit den Emotionen des Publikums Ping Pong zu spielen und ihm am Ende dennoch das eigene Fazit zu überlassen.

Weiterlesen: