Barocke Talkshow mit Format

Die Veranstaltung

Was: Doris Uhlich: Mehr als genug / Rising Swan
Wo: Theaterhaus Gessnerallee, Zürich
Wann: 25.01.2011 bis 26.01.2011
Bereiche: Performance, Tanz, Theater

Die Autorin

Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Theaterhaus Gessnerallee (siehe Unabhängigkeit).

Von Fabienne Schmuki, 26.1.2011

Das Bild ist stark: Splitterfasernackt steht Doris Uhlich auf der Bühne, schüttelt unaufhörlich Puder über ihren Bauch, ihre Brüste, in ihre Scham, bis es stäubt und sich der Puder auf der ganzen Bühne verteilt. Die Geigen, die aus den Lautsprechern ertönen, fiddeln mit dem Wackeln des Fleisches um die Wette.

Doris Uhlich ist eine Tänzerin mit Format, die den genormten Rahmen sprengt. Die Österreicherin hat aber genau davon genug: In den Kritiken wird ihr Talent stets hervorgehoben, im gleichen Atemzug kontrastiert dieses Lob dann aber mit ihrer Korpulenz. Anlass genug, dem Thema Körperkult ein Stück zu widmen: «Mehr ist genug» stellt die Frage nach Schönheit ins Zentrum. Uhlich wird zur Talkmasterin.

Schönheit mit Akzent

Baudelaires «Hymne an die Schönheit» bildet den Rahmen der knapp einstündigen Vorführung. Uhlich, deren dunkelbraune Haare einer Flamme gleich gen’ Himmel lodern, trägt einen schweren schwarzen Mantel und rezitiert das Gedicht auf Französisch mit österreichischem Akzent. Dann nimmt sie ein Telefon zur Hand und ruft die Rosas-Tänzerin Tale Dolven an, mit der sie sich über Schönheit unterhält. Gleichzeitig betritt Alice Chauchat, eine zierliche Französin, die Bühne und beginnt zu tanzen. «Findest du dich schön?», fragt Uhlich in den Hörer. «Nicht sonderlich», entgegnet Tale Dolven am anderen Ende des Drahtes. Uhlich legt auf und steigt in den Rosas-Tanz mit ein.

Nackt-talk

Schon bald lässt Uhlich die Hüllen gänzlich fallen. Nur die goldenen High Heels bleiben an, mit denen sie etwas ungelenk über die Bühne schreitet, was ihren Po zum Wackeln bringt. Sie stellt die Frau aus Helmut Newtons Fotografie «Big Nude» nach. Sie verkörpert Edith Piafs Wunderchanson «Je ne regrette rien». Sie telefoniert mit dem Archtiekten Thomas Sturm und fragt ihn nach seiner Glatze. Sie rezitiert Baudelaire. Sie wirft sich auf den Boden, wieder ein Telefongespräch, diesmal mit der Ballerina Susanne Kirnbauer, die schon etwas in die Jahre gekommen ist. Ja, sie habe einen Schock gehabt, als sie Uhlich das erste Mal in Hotpants und Spitzenschuhen gesehen habe. Uhlich, auf der Bühne am Hörer, verzieht keine Mine.

Gepudert und geschüttelt

Nein, dem Schönheitsideal von Hochglanzmagazinen entspricht die österreichische Tänzerin nicht. Dennoch stellt sie ihren opulenten Körper zur Schau und zeigt dem Publikum dabei, dass Schönheit verschiedene Facetten haben kann. Wie Baudelaire es ausdrückt: «Ob Du vom Himmel kommst, ob aus nächtigen Orten, Gleichviel, o Schönheit, dem Dämon, dem Kinde verwandt».

Doch die Frage nach wahrer Schönheit wird, natürlich, nicht einmal ansatzweise geklärt. Wie auch? Es ist wohl kaum die Absicht der Künstlerin, die gesellschaftlich verbreitete Vorstellung von Schönheitsidealen mit ihrem üppigen Körper zu hinterfragen. Obwohl Uhlich eine starke Ausstrahlung hat und zweifelsohne eine schöne Frau ist, bleiben die Fragezeichen: Ist sie (auch) schön, weil sie sich auszieht? Macht Mut schön? Oder liegt das Schöne in Uhlichs Augen in der Imperfektion, also auch in stark akzentuierten Fremdsprachen?

Dass Uhlich im selben Stück Barock, Piaf und Baudelaire vereint, verdeutlicht ihre Lust, Grenzen zu überwinden. Das macht Spass und, zumal mit etwas Puder(zucker), ist es auch eine Freude, dem Treiben zuzusehen. Nur die unsägliche Frage nach der Schönheit steht etwas gar unschön im Weg.

Weiterlesen: