Das Radio neu erfinden

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KulturMedienWandel

KulturMedienWandel ist eine gemeinsame Rubrik der Plattform Kulturpublizistik und von Migros-Kulturprozent Online. In dieser Rubrik werden Phänomene und Entwicklungen im Schnittfeld von Kultur und Medien aufgegriffen, reflektiert und kommentiert.

Die Autorin

Elena Ibello: 1982 geboren, seit 2003 freie Journalistin. Im Master-Studium Art Education, publizieren&vermitteln, an der ZHdK.

Von Elena Ibello, 30.8.2011

Journalismus und Kunst sind nicht zwei fundamental von einander getrennte Felder. Diese alte Erkenntnis lebt in einer Webplattform, die Radio als «Sound Art» praktiziert, neu auf.

Öffentliche Kulturberichterstattung ist zwangsläufig damit konfrontiert, Kunstwerke in journalistische Texte zu packen. Auch wenn der Text keinesfalls zum Stellvertreter des jeweiligen Kunstwerkes werden soll: Es braucht Übersetzungsarbeit. Die Konventionen und Vorgaben journalistischer Produkte spielen dabei eine grosse Rolle. Es gibt aber auch Kulturvermittler, die sich den Darstellungszwängen des Journalismus entziehen, ohne journalistische oder dokumentaristische Ansprüche ganz hinter sich zu lassen. Ein aktuelles Beispiel bietet die Online-Plattform «The [Un]observed».

Seit Februar online, bietet sie Berichte über Kulturelles im Audioformat. Diese sind in ihrer Form sehr unterschiedlich und oft ungewöhnlich produziert. Da werden kulturelle Inhalte als hörspielähnliche, stundenlange «audio pieces» präsentiert, wie beispielsweise im 50-minütigen «Stopover Bangkok» von Kaye Mortley. Sie erzählt aus der Ich-Perspektive, wie sie Bangkok akustisch erlebt. Zu hören ist die Stadt mit all ihren Geräuschen, während sich die Stimme von Mortley hin und wieder sanft über diese Töne legt, die in unseren Köpfen unweigerlich zu Bildern werden. Man könnte das Stück eine sinnliche Reportage nennen, die sich Zeit nimmt, Eindrücke zu vermitteln, die nur schwer beschreibbar sind.

Kulturradio neu interpretiert

The [Un]observed bezeichnet sich als «Radio Magazine». Einige Beiträge werden in den USA tatsächlich auch über den Äther gesendet. Mit den heute gängigen «Volksradio»-Mustern haben sie gleichwohl nichts zu tun. Nicht einmal das Kulturradio DRS2 hat Ähnliches im Repertoire. Seine Sendung «Passage 2» zum Beispiel pflegt zwar (und das ist heute selten) das Format des Features, doch ist dort der Wortanteil verglichen mit Beiträgen auf The [Un]observed sehr hoch, die Sprache funktioniert gewissermassen als Blindenstock der Sinne.

Dabei wäre gerade dieses Format für kreativere Umsetzungen prädestiniert. Journalismus als Erzählung mit künstlerichem Anspruch wurde schon lange vor dem Internet praktiziert. Ekkehard Kühn schreibt in Walter von La Roches «Radio-Journalismus»: «Im Feature soll der O-Ton nicht pures Dokument, Beweisstück sein, sondern ‚Material’, Stoff für eine Geschichte, Stoff, wie ihn auch Sachbuch-, mitunter sogar Romanautoren sammeln, um dann daraus ‚ihr’ Buch zu machen.» Und er fügt an, dass die Geschichte gleichwohl nichts Unwahres erzählen dürfe. Diesen Kriterien entsprechen die Beiträge auf The [Un]observed. Indessen sind die meisten Stücke wenn auch faktentreu, so doch sehr subjektiv, sozusagen perspektivisch, und nutzen neben Originaltönen auch künstlich Erzeugtes und künstlerisch Gestaltetes.

Sound Art als Vermittlungsform

Tania Ketenjian, die die Plattform gemeinsam mit ihrem Mann Philip Wood gegründet hat, will jenen eine Plattform geben, die das klassische Kulturradio verändern wollen. «Wir suchen journalistische Beiträge, die künstlerisch umgesetzt sind, oder künstlerische Stücke, die eine journalistische Tendenz haben. Radio und Klang ermöglichen diesen grossartigen Hybrid», so Ketenjian. Eine eigentliche Redaktion gibt es nicht. Neben den Gründern produzieren über 30 «Contributors» aus verschiedenen Ländern. Einige davon sind Journalisten, andere Künstler, und viele agieren im Schnittfeld.

Das Konzept scheint Anklang zu finden. In den ersten drei Monaten online haben sich bei The [Un]observed bereits mehrere Tausend Hörer registriert. Klassisch journalistische Berichterstattung über Kultur gibt es en masse. Sie wird vermutlich – aller Unkenrufe zum Trotz – erfolgreich bleiben. Doch neues Publikum wird sie kaum gewinnen. Das Internet erlaubt es, dass alte Probleme des Übersetzens zugunsten neuer Formen des Zusammenkommens in den Hintergrund rücken. Warum also nicht die Grenzen zwischen Journalismus und Kunst hin und wieder aufweichen? Warum nicht Kunst, Vermittlung und Journalismus explizit vermischen, um Neues zu kreieren?

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