Melancholie voller Leichtigkeit

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Compagnia Spettatori: Spettatori
Wo: Hochhaus, Limmatplatz
Wann: 16.09.2011 bis 17.09.2011
Bereich: Theater

Die Autorin

Elena Ibello: 1982 geboren, seit 2003 freie Journalistin. Im Master-Studium Art Education, publizieren&vermitteln, an der ZHdK.

Die Kritik

Lektorat: Fabienne Schmuki.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Im Hochhaus (siehe Unabhängigkeit).

Von Elena Ibello, 18.9.2011

Sie setzen sich in die allervordersten Sitzreihen im Theater, blicken geradeaus und warten. Gesittet, anständig, leise. Wie man sich im Theater eben verhält. Man wartet und wartet, auf eine kahle, graue Wand starrend, aus welcher ein Rohr herausragt. Es ist dies das Einzige, das sich bewegt. Es löst sich ganz langsam aus der Wand und fällt zu Boden. Stille. Seufzen. Warten. Man beginnt, auf dem Stuhl hin und her zu rutschen, die Beine übereinander zu schlagen, legt den Kopf auf die Seite. Die Langeweile liegt schwer in der Luft und wird förmlich greifbar.

Das Bewegungstheater der «Compagnia Spettatori», hervorgegangen aus der Scuola Teatro Dimitri, beginnt den Abend «Im Hochhaus», der Kleinkunstbühne des Migros-Kulturprozent, mit ganz kleinen Bewegungen. Sie zeugen von Scheu, Anstand und Etikette. Denn schliesslich sitzen die «Spettatori» im vermeintlichen Zuschauerraum eines Theaters und warten auf den Beginn einer Vorstellung. Doch als lange nichts passiert und man auch auf den Nachbarsitzen immer weniger einen Hehl daraus macht, dass man vollkommen gelangweilt ist, weichen sich Scheu und Hemmungen immer mehr auf. Die Spettatori werden unruhig, zucken mit den Schultern, stupfen einander an und stehen sogar auf. Als bald durch ein Missgeschick eine rote Kiste voller Gerümpel mitten unter den Zuschauern steht, ist die ganze Aufmerksamkeit der Spettatori nur noch auf diese Kiste gerichtet. Da kommen plötzlich Schläuche, Giesskannen, Abflussohre und Pinsel zum Vorschein. Und was machen die sogenannten Zuschauer mit dem Zeugs? Musik natürlich. Sie musizieren und tanzen und springen in akrobatischer Manier zwischen den Stuhlreihen umher. Es wirkt wie ein kurzer, heftiger Ausbruch aus dem Zwang des Anstandes. Man versucht verzweifelt, der tödlichen Langeweile zu entkommen und prustet mit Freude und Inbrunst in Schläuche und Kannen.

Kleine Geschichten

Bis sie eine Stimme über ein Megaphon wieder zur Sittlichkeit aufruft und in ihre Zwangsjacke des Anstandes zurück schickt. Sie sollen sich wie «kulturelle Leute» verhalten, lautet der Befehl. Die Künstler blicken verdutzt um sich, stecken die Instrumente weg, zupfen die Kleider zurecht und setzen sich gesittet auf ihre Plätze. Dieses Spiel wiederholt sich immer wieder, aber immer wieder auf eine vollkommen andere, neue Art. Regelmässig brechen die Theaterleute aus der Steifheit des wartenden Zuschauers aus, lassen ihrem Bewegungs- und Entdeckungsdrang freien Lauf und gehen scheinbar komplett in ihrer Tätigkeit auf. Dabei werden zahlreiche kleine Alltagsgeschichten erzählt. Über Träume, Liebe, Eifersucht, Hoffnung und Enttäuschung.

Dadurch erhält das anfangs sorglose Lustspiel eine bestimmte Schwere und Melancholie, ohne die Leichtigkeit ganz aufzuheben. Diese liegt nicht zuletzt in den Bewegungen dieser Artisten, die stets geschmeidig aber kraftvoll, weich aber deutlich wirken und in ihrer reinen Form beeindrucken. Wie Federn schwingen sich die ehemaligen Dimitri-Schüler durch die Lüfte, kriechen wie Regenwürmer auf dem Boden und klettern wie Spinnen die Wände hoch.

Vielfältige Talente

Leicht wirken trotz höchstem Anspruch daneben auch der Wechsel der Rollen und die Vielfalt der gezeigten Talente der Spettatori. Waren sie gerade eben noch am Singen, standen sie gerade noch am Cello, tanzen sie plötzlich mitten auf der Bühne oder klettern auf der gegenüberliegenden Seite bis zu den Scheinwerfern hinauf. Alle musizieren auf verschiedenen Instrumenten und tanzen gegen mehrere Elemente an. Und als sie zum Schluss erschöpft im Publikum Platz nehmen und dieses sogleich zu kräftigem Applaus ansetzt, realisieren sie erst, dass sie gerade selber die Vorstellung bestritten haben, auf die alle die ganze Zeit gewartet hatten.

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