Stimmung wie zu Verdis Zeiten

Die Veranstaltung

Was: Arienabend mit Vittorio Grigòlo
Wo: Tonhalle Zürich
Wann: 17.02.2011
Bereich: Musik

Die Autorin

Gabriele Spiller: Kulturvermittlerin, Journalistin und Autorin: http://gabriele-spiller.jimdo.com

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).

Von Gabriele Spiller, 21.2.2011

Mit «La forza del destino», «der Macht des Schicksals» von Giuseppe Verdi, eröffnet die Neue Philharmonie Westfalen den Arienabend mit Vittorio Grigolo und Sonya Yoncheva in der Tonhalle. Das Schicksal meint es derzeit gut mit dem gerade 34-jährigen Tenor, dem neuen Star am Opernhimmel, der von Kritikern und Publikum gleichermassen geliebt wird. Ganz so «neu» ist seine Stimme in der Musikwelt allerdings nicht. Schon mit 23 war er der jüngste Tenor an der Mailänder Scala und hatte seitdem weltweit Gelegenheit, sein Repertoire auszubauen. Er ist eine Idealbesetzung für italienische Oper und Canzoni, was er in Zürich seit 2008 immer wieder unter Beweis stellt.

Fulminant geht Grigolo seinen ersten Auftritt in der Tonhalle mit der Arie «Tutto parea sorridere» aus «Il corsaro» von Verdi an. Sauber artikuliert meistert er auch anspruchsvollste Passagen. Nach dem ersten Begeisterungssturm schiebt Grigolo gleich den Gassenhauer «La donna è mobile» nach, ebenfalls ein Stück, mit dem er in Zürich bereits im Opernhaus gastierte. Dann folgt die junge Sopranistin Sonya Yoncheva, im Programm beschrieben als «eine der begabtesten Sängerinnen ihrer Generation». Im Duett mit Grigolo singt sie «Una parola, o Adina» aus Donizettis «L’elisir d’amore». Sein anschliessendes «Una furtiva lagrima» gerät zu einem gesanglichen Höhepunkt des Abends. Vom Orchester, insbesondere den Holzbläsern, wünscht man sich dabei das dynamische Spektrum und Facettenreichtum des Tenors.

Alles dreht sich um Grigolo

Warum anstelle des angekündigten Alberto Meoli als Dirigent Pier Giorgio Morandi erschien, bleibt das Geheimnis der Veranstalter. Doch das populäre Programm ist ein sicherer Wert. Yoncheva sorgt in der Rolle der Mimi aus «La Bohème», die ihr sehr liegt, für Auflockerung, und die Intermezzi der zunehmend souveräner spielenden Neuen Philharmonie Westfalen lassen das Publikum durchatmen. Sie bringen die Stimmung wieder auf eine Stufe, von der aus Grigolo zum nächsten Sprung in virtuose Sphären ansetzen kann. Als Rodolfo klettert er über die Balustrade der Tonhalle-Bühne, um der Dame in der ersten Parkettreihe ein Ständchen zu bringen – so unkonventionell sah man ihn bereits in «La Traviata im Hauptbahnhof».

Im zweiten, beschwingten Teil des Konzerts dominieren die italienischen und neapolitanischen Lieder. Liebesschmerz und überschwängliche Freude geben den Musikern Gelegenheit, ihr Temperament auszuleben. Allen voran Grigolo, der voller Spielfreude agiert. Bei der Zugabe dann, dem Trinklied aus «La Traviata», fordert er das Publikum zum Mitklatschen auf. Wie auf einer Hochzeit wirft der Tenor der Herzen den überreichten Blumenstrauss über den Rücken in die Menge. Standing Ovations für einen erstklassigen Entertainer, der zu bezaubern weiss.

Klasse für die Masse

Vielleicht beschwört er damit die ausgelassene Stimmung, die um 1850 herrschte, als, allerdings politisch motivierte, Verdianer in den italienischen Opernhäusern feierten und die Arien wie Schlager auf der Strasse verbreiteten. Grigolo fördert eine Gute-Laune-Klassik, und karikiert sogar die Tenorrolle, wenn er bei «O solo mio» mit forcierter Stimme vom Bühnenrand her auftritt. Dass er sich gerade mit dieser Interpretation von seinem Entdecker, und fast zum Übervater stilisierten Pavarotti, differenziert, ist Ironie – so wie viele seiner Gesten.

Auch bei der anschliessenden ausgedehnten CD-Autogrammstunde stellt er unter Beweis, dass er die Berührung mit dem Publikum nicht scheut. Vittorio Grigolo steht für eine neue Generation von Tenören, die eine jüngere Zuhörerschaft durchaus vertragen und verdienen würden.

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