Solo auf der nach aussen gestülpten Lunge
Die Veranstaltung
Was: «Musik im Schloss» Eröffnung 11. Saison 2011/12
Wo: Schloss Rapperswil, Grosser Rittersaal
Wann: 06.11.2011
Bereich: Musik
Die Autorin
Gabriele Spiller: Kulturvermittlerin, Journalistin und Autorin: http://gabriele-spiller.jimdo.com
Die Kritik
Lektorat: Anja Wegmann.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: artarena.ch am oberen Zürichsee (siehe Unabhängigkeit).
Von Gabriele Spiller, 7.11.2011
Frischauf in die 11. Konzertsaison der «Musik im Schloss» spielten in Rapperswil die Akkordeonistin Vivane Chassot und das Vogler Quartett. Der Grosse Rittersaal war voll, als am Sonntagnachmittag ein vielseitiges Programm in ungewöhnlicher Besetzung gegeben wurde. In das Concerto Nr. 4 in A-Dur von Johann Sebastian Bach fügt sich das Akkordeon (anstelle der Oboe d’amore) harmonisch ein. Angesiedelt in der mittleren Stimmlage liegt es überraschend nahe beim Streicherklang. Auch im 2. Satz, einem meditativem Larghetto, dominiert es nicht. An den Solostellen, wenn «die nach aussen gestülpte Lunge», wie Chassot ihr Instrument bezeichnet, ihren charakteristischen Klang entfaltet, horcht man auf. Die Konzert-Kooperation mit den Streichern Tim Vogler (Violine), Frank Reinecke (Violine), Stefan Fehlandt (Viola), und Stephan Forck (Violoncello) ist ein gelungenes Experiment.
Neuinterpretationen und Entdeckungen
Es folgte ein Ausschnitt aus der neuen CD von Viviane Chassot, die «Nouvelles suites de pièces de clavecin» von Jean-Philippe Rameau. Die 32-jährige Künstlerin wählte «La poule», «Les soupirs» und die «Gavotte mit sechs Variationen». Die Cembalo-Stücke sind eine echte Herausforderung für das Knopfakkordeon, und Chassot überwand sie, in die Noten vertieft, mit gewissen Unsicherheiten. Auch darüber, ob die Komposition nicht fürs Cembalo geeigneter sei, kann man geteilter Meinung sein. Der Interpretation fehlten doch einige klangliche und dynamische Nuancen.
Angenehm überraschten die «Fünf Bagatellen» von Antonin Dvorak. Klangsatt und singend präsentierten wieder alle fünf Musiker die «Kleinigkeiten». Zeitnah mit den bekannten «Slawischen Tänzen» entstanden, erinnerte das fünfte Stück „Poco allegro» auch an einen solchen. Seinen Solopart hatte das Vogler Quartett dann mit dem exquisiten Streichquartett Nr. 1 von Erwin Schulhoff. Hier glänzten die seit 25 Jahren aufeinander eingespielten Herren (Professoren der Musikhochschule Stuttgart). Das in der Zwischenkriegszeit, 1924, entstandene Werk stellt viele Fragen in Form von Dissonanzen in den Raum. Akkurat intonieren die Streicher das spannungsvolle Stück voller technischer Raffinessen.
Erfahrung vor Innovation
Musikhistorisch in der Neuzeit angekommen, geben die Fünf einen gut gewählten Abschluss: «Anxiety» und «Fear» aus Astor Piazzolla‘s «Five Tango Sensations». Violinen und Akkordeon bedienen unsere Hörgewohnheiten, es entsteht der fast authentische Klang der Originalkomposition. Die kongeniale Zugabe, «Adios Nonino», rundet den Vortrag ab. Um ein neues Hörerlebnis reicher, verlässt der Besucher die schöne Spielstätte. Der jungen Künstlerin wünschte man bald die Souveränität, die ihre erfahreneren Konzertkollegen ausstrahlten. Die Fingerfertigkeit dafür besitzt sie.