Jean Rudolf von Salis, Intellektueller und Briefeschreiber

Die Veranstaltung

Was: Urs Bitterli über Jean Rudolf von Salis
Wo: Literaturhaus
Wann: 05.05.2010
Bereich: Literatur

Der Autor

Lukas Meyer: Jahrgang 1983, studierte Philosophie, Geschichte und Literatur und arbeitet als freier Journalist und Texter in Zürich.

Die Kritik

Lektorat: Fadrina Arpagaus.

Von Lukas Meyer, 7.5.2010

Der Historiker und Publizist Jean-Rudolf von Salis (1901-1996) ist heute nicht mehr allzu bekannt, seine Werke findet man nur noch in Antiquariaten. Dabei war er einer der wichtigsten Intellektuellen der Schweiz und erlangte während des Zweiten Weltkriegs mit seiner wöchentlich auf Radio Beromünster ausgestrahlten Sendung «Weltchronik» Berühmtheit weit über die Grenzen hinaus. In seinem Leben schrieb er nicht nur unzählige journalistische Artikel und einige historische Bücher, sondern ebenso viele Briefe, die im Nachlass im Schweizerischen Literaturarchiv liegen.

Urs Bitterli, Historiker und Publizist auch er, hat die Aufgabe übernommen, die Korrespondenz zu sichten und eine Auswahl herauszugeben. Als junger Student hörte Bitterli selbst Vorlesungen bei von Salis, der lange an der ETH als Professor für Allgemeine Geschichte unterrichtete. Später wurde er selbst Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich. Nach seiner Emeritierung verfasste er eine Biografie über Golo Mann, einen anderen grossen Intellektuellen und Historiker des 20. Jahrhunderts. Kürzlich erschien aus seiner Feder die Biografie «Jean Rudolf von Salis. Historiker in bewegter Zeit» (NZZ Libro, 2010).

Die Briefe

Vor einem zahlreich erscheinenden Publikum stellte Bitterli nicht sein jüngstes Werk vor, sondern las aus ausgewählten Briefen von Salis’ an verschiedene Zeitgenossen und stellte diese kommentierend in den historischen und biografischen Kontext. Kenntnisreich erzählte er von der jeweiligen politischen und persönlichen Situation und liess gerne auch erheiternde Anekdoten einfliessen, blieb jedoch immer fundiert und gewissenhaft. Man merkte ihm die Freude und das Interesse an seinem Gegenstand an. Manchmal liess er sich zu etwas langen Ausführungen hinreissen, was jedoch nie langweilte.

Die vorgelesenen Briefe reichten von den frühen 1930er-Jahren bis in die 1970er-Jahre. Empfänger waren bekannte Politiker wie Bundesrat Kurt Furgler oder Stadtpräsident Sigmund Widmer; der berüchtigte Chef der Fremdenpolizei Heinrich Rothmund, bei dem sich von Salis während des Zweiten Weltkriegs für einen befreundeten französischen Schriftsteller einsetzte; seine Mutter, der er über seine erste Vorlesung am Polytechnikum schrieb; und zuletzt auch Max Frisch, dem er zum 60. Geburtstag gratulierte.

Hier liess sich von Salis darüber aus, dass hervorragende Leute in der Schweiz immer auf Schwierigkeiten stiessen – ein altbekanntes Thema. Sich selbst, der als «sozialer Liberaler konservativer Ausrichtung», wie Bitterli die politische Position von Salis’ beschrieb, überall aneckte und zum Beispiel mit der NZZ immer im Clinch lag, schloss er hier wohl ein.

Ergänzung und Anregung

Der Vortrag war sehr lehrreich, jedoch konnte Bitterli in einer knappen Stunde dem Gegenstand kaum gerecht werden. Wenn man sich mit der Biografie und der (Zeit-)Geschichte von Salis’ schon gut auskennt, sind die brieflichen Äusserungen dieses bekannten Denkers sicherlich sehr interessant. Letztendlich machte Bitterli gute Werbung für sein Buch und schürte auch das Interesse für die Edition der Briefe, die der NZZ-Verlag wohl noch dieses Jahr herausbringen wird. Anregung zur weiteren Beschäftigung mit einer herausragenden Figur des Schweizer Geisteslebens war der Abend auf jeden Fall.

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