Tom Liwas Geheimrezept für Melancholiemarzipan

Die Veranstaltung

Was: Tom Liwa
Wo: El Lokal, Zürich
Wann: 17.10.2010
Bereich: Musik

Die Autorin

Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.

Die Kritik

Lektorat: Melanie Burkhoff.

Von Fabienne Schmuki, 20.10.2010

Wer wie Tom Liwa denkt, der denkt, die Welt sei aus einem Eifersuchtsdrama entstanden, Paradigmen wären Vögel und Reisende würden suchen, was sie als Kinder nie finden konnten. Wer wie Tom Liwa denkt, fragt sich, wovor die Welt am meisten Angst hat und warum zwei Liebende «streiten, ficken und sich vertragen». Wer wie Tom Liwa denkt, fühlt, leidet und am Sonntagabend im El Lokal zugegen war, der wurde Zeuge davon, wie geteiltes Leid nicht halb, sondern doppelt so schwer auf den Schultern wiegt, aber wie es durch das gemeinsame Erlebnis der Musik gelindert wird.

Tom und die Voyeure

Es ist mucksmäuschenstill inmitten des El Lokal’schen Sammelsuriums, Sonntagabend und der Herbst klopft gerade an die Tür. Als Tom Liwa mit seiner Gitarre die Treppen heruntersteigt, flüstert eine Stimme: «Es muss seltsam sein, einen Raum zu betreten, in dem es so still ist.» Die Bühne ist heute mehr Wohnzimmer als Präsentationsfläche, und als der Sänger, Songschreiber, Poet und Geschichtenerzähler aus Duisburg auf den Holzstuhl sitzt, Gitarre auf dem Oberschenkel, Kaffeetasse an der Lippe, fühlt sich der Zuschauer wie ein Voyeur, der in die Innigkeit Tom Liwas Sonntagabend-unterhaltung eindringt. So fallen die ersten beiden Stücke auch leise und zaghaft aus, dabei ist «der erste Song total wichtig», so Liwas Kommentar; vielleicht ist aber heute die Stimmung wichtiger und die Melancholie muss sich erst ausbreiten, damit die geteilte Intimität erträglich wird.

Tom und die wunderbaren Jahre

Nach «Crazy Tom», eines der selbstbewussteren Stücke auf dem 2008er Album «Komm Jupiter», gelingt es Tom Liwa, die Brücke zum Publikum zu beschreiten, und nun beginnt sie wirklich, die magische Reise. Dabei lehrt uns Tom nicht nur, dass er von den Wölfen laufen gelernt hat und das Sprechen von den Schlangen. Er erzählt von seinem Leben als alleinerziehender Vater von drei Kindern, von seiner Liebe zu Brasilien, die immer mal wieder aufflammt. Er trägt ein Gedicht vor, das so sanft ist und gleichzeitig so stark, genauso wie auch diese Stimme, die immer weiter singt von der Liebe und der damit einhergehenden Einsamkeit.

Tom und die süsse Wahrheit

Tom Liwa trinkt seinen Kaffee und das Wasser dazu aus der Flasche und es scheint ihm zu gefallen im Wohnzimmer an der Sihl, so dass er mit einem Glas spanischen Rotweins voranschreitet auf dem Pfad der Lieder. Das Publikum ist beglückt trotz der schweren Texten, was beweist, dass Melancholie halt doch so süss ist wie Marzipan, und an diesem kühlen Sonntagabend schmeckt der Zucker ausserordentlich gut auf der Zunge. Nach eineinhalb Stunden engster Vertrautheit unter dem Giebeldach an der Gessnerallee, drei Zugaben und drei englischen Coversongs bleiben kaum Fragen offen, ausser vielleicht der einen: «Wo bleibt die Freude in deinen Liedern?», fragt Tom Liwa im Song «eh egal», und die Antwort darauf liefert er gleich selber: «Ich zuck mit den Schultern und sage: ‹Zwischen den Zeilen›.»

Weiterlesen: