Beliebige Bilderschlürfer

Die Veranstaltung

Was: Thomas Hauert / ZOO: You've changed
Wo: Theaterhaus Gessnerallee
Wann: 07.10.2010 bis 08.10.2010
Bereiche: Musik, Performance, Tanz, Theater

Die Autorin

Julia Stüssi: Jahrgang 1980, studiert Germanistik und arbeitet im Verlag und beim Züritipp, beiderorts schreibt sie.

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Theaterhaus Gessnerallee (siehe Unabhängigkeit).

Von Julia Stüssi, 9.10.2010

Egal, wie ausgetüftelt das Konzept: Improvisation ist immer ein Risiko, auch für so erfahrende und unermüdliche Improvisationsforscher wie Thomas Hauert und seine Cie. Zoo.

Sein Abend beginnt viel versprechend: Sieben Tänzer improvisieren zwischen zwei transparenten Leinwänden, von denen die vordere zwischen Bühne und Zuschauer gespannt ist. Auf beiden ist die gleiche Filmsequenz zu sehen: dieselben Tänzer am improvisieren. Alle Tanzenden – virtuelle wie reale – leuchten im fahlen Licht als weisse, bewegliche Gestalten, wirken wie geschichtete hyperaktive Geister.
Mit nur einem Unterschied: Die Filme laufen selbstgenügsam vor sich hin, während die realen Tänzer ständig versuchen, auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Sie fokussieren auf einen Filmtänzer und imitieren seine Bewegungen, um gleich darauf zu einem anderen zu wechseln, um sich dessen Bewegung anzuschliessen. Ebensolche Richtungswechsel komponierte der Musiker Dick van der Harst: Frauenstimmen singen barock anmutende Melodien, die im Fluss abbrechen oder anders verlaufen, als man es sich im inneren Ohr vorstellt.

Schmerzhaft nahe am Identischen

Die Realtänzergruppe hinkt und stockt und hetzt dem Bild nach. Man sieht aufgerissene Augen, Gesichter, die alle gleich frontal ausgerichtet sind, um immer andere Filmtänzer zeitgleich nachzuahmen; wendige Augenkörper, gierige Bilderschlürfer. Von Aussen ist es ein Informationsüberschuss: Die ruhige Betrachtung der Tänzerkörper ist gestört durch deren ständig springende Konzentration. So fluktuiert die Aufmerksamkeit des Zuschauers zwischen den Bildern und den Tänzern und findet keinen Körper zum verweilen. Ein gelungener Moment, springt die Unvorhersehbarkeit der Improvisation ja auf den Betrachtungsakt über.

Beim ständigen Imitieren und Re-Orientieren der Tänzer interessiert die Lücke. In den Unisonos interessiert die leise Variation, die jeden Tänzer vom anderen unterscheidet, bei der Nachahmung das Hinterherhinken. Diese Beinahe-Angleichung fesselt: eine Annäherung, die so nah beim Identischen ist, dass sie fast weh tut. Die Gesangsstimmen schlachten auch diesen Moment aus, singen nur Halbtöne voneinander entfernt, sind zu nah, um harmonisch zu sein, aber auch nicht einstimmig.

Beliebigkeit: score oder Tagesform?

Später wird die Leinwand hochgezogen. Stille, keine Projektion, nur pure Tanzimprovisation, ein bodenständiger Moment nach dem vorherigen Mediendurcheinander. Jetzt zeigt sich: Getanzt werden shapes, Formen im Raum. Man sieht die Tänzer «sich sehen» und sich visuell zueinander positionieren. Also eher Architekturbewegung als Bewegungsneugier, eher siebenfaltige Gleichförmigkeit als Entwicklung. Und so entsteht mit der Zeit ein Gefühl der Beliebigkeit. Ist das nun ein Resultat des scores oder der Tagesform?
Konzeptuell spannend wird’s nochmals, als die Leinwand wieder heruntergelassen wird, die Regeln sich aber geändert haben. Offenbar kennen die Tänzer ihre filmisch abgebildeten Sequenzen jetzt und antizipieren die Bewegungen ihrer virtuellen Zwillinge. Ihre Körper sind zuversichtlich, wieder bei sich angekommen.

Ein insgesamt etwas langer Abend. Stellenweise interessiert, irritiert und belebt die Raum- und Mediennutzung im score, leider wird sie inhaltlich und körperlich nicht weiter getragen. Das Konzept ersetzt eben nicht den Sinn für instant composition, Entwicklung, Inhalt oder der Freude an modulierter Bewegungsqualität. Aber darin liegt das Risiko der Improvisation, und dieses Risiko ehrt jeden, der es wagt.

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