Othello jetzt
Die Veranstaltung
Was: Patrick Gusset - Othello. Ich bin nicht, was ich bin
Wo: Clubraum, Rote Fabrik
Wann: 20.02.2010 bis 21.02.2010
Bereiche: Performance, Theater
Die Autorin
Michaela Lischer: Jahrgang 1985, studiert Germanistik in Zürich und schreibt bei einem studentischen Online-Magazin sowie bei «Denkbilder» (Germanistikmagazin der Universität Zürich).
Die Kritik
Lektorat: Stefan Schöbi.
Von Michaela Lischer, 21.2.2010
„Ich bin nicht ich“, sagt der venezianische Fähnrich Jago in Shakespeares Drama Othello. Und „ich bin nicht ich“, beteuert auch Patrick Gusset alias Shabani wortgewaltig und sein Statement wird ohrenbetäubend untermauert von der Rockmusik seiner Band „The Broken Flowers“. Shabani gibt eigentlich den Othello. Denn so wie er aussähe, müsse er einfach den Othello spielen. So sei es ihm nahe gelegt worden, sagt Shabani. Othello und Jago aber vereinen sich in diesem Stück zu einer Person – die wiederum in eine Vielzahl von Identitäten zerfällt.
Er – wer?
Da ist der kleine schwarze Junge, der den Heiland spielen wollte und wegen des „zapfenzieherlockigen“ Haares das Schaf darstellen musste. Jetzt berichtet er voller Ironie als Jim Knopf zur Melodie des Lummerlandliedes, wie das kleine Schaf trotzdem allen gefallen wollte.
Da gibt es den Erwachsenen, der kein Schweizer sein will, dem aber sein Hass auf die Schweiz gerade als Indiz seines Schweizertums ausgelegt wird. Er versichert, den Schweizer in sich ermordet zu haben. „Was, du mich ermordet?“, meldet sich bereits die nächste Identität und es entspinnt sich ein Dialog zwischen einem Schwarzen in der Schweiz und einem in der Schweiz Grossgewordenen. Mit geschickter Videoeinspielung unterhalten sich die beiden Facetten des Ichs auf der Bühne face to face in einem Zwiegespräch „mit sich selbst“.
Unerwartet wird Hamlet zitiert: „Sein oder nicht sein; das ist hier die Frage.“ Bewaffnet mit einem Staubmopp, den Text aus einer Reclam-Ausgabe ablesend, verkommt Shakespeares tragischer Held zur lächerlichen Figur. Denn dass dies eben genau nicht die Frage sei, vermeldet eine der zahlreichen weiteren Identitäten. Indem sie zu Ordnung aufruft, dazu, dem Publikum das zu bieten, was es erwartet (den Othello nämlich), wird die Theater-Illusion geschickt gebrochen. Und wir haben es noch mit einer weiteren Identität zu tun: Jener, die beteuert, all dies hier zu sagen sei einfach nur ihr Job. Nicht nur die Identitäten werden somit überlagert und wieder aufgehoben, sondern es kommen zusätzlich verschiedene Realitätsebenen ins Spiel.
Die Frage lautet nicht „sein oder nicht sein?“, sondern immer und auch jetzt: „Wer bin ich?“ Oder: Wer ist ich, wenn ich nicht ich bin?
In Jamaika, dem im Stück stets präsenten Zweitland, äusserlich zwar nicht von den anderen Menschen unterscheidbar, sich innerlich aber fremdfühlend, wird er als Kokosnuss beschimpft: aussen schwarz, innen weiss. In der Schweiz hingegen fällt er durch sein Aussehen auf, obwohl er sich doch hier zuhause fühlt, die Identifikationsstränge kreuzen sich. Symbolartig kommt dies auch im Bühnenbild immer wieder zum Ausdruck. So wird im biederen Schweizer Wohnzimmer auf der Sesselunterseite das Bild eines kitschigen jamaikanischen Strandes sichtbar.
Unzimperliche Vorurteile, subtile Bilder
Obwohl kaum ein Vorurteil ausgelassen wird („Vorurteile haben keine Farbe“), die Wortwahl niemals zimperlich ausfällt und die Musik meist hart und laut den mal gerappten, mal gesungenen Text untermalt, sind es subtile Bilder, welche die Darbietung evoziert. Ein Beispiel: Er (wer?) beteuert, nur dann er zu sein, wenn er genügend Whiskey intus habe, da er sonst den freundlichen Versuchen nachgebe, sich in eine Rolle drängen zu lassen.
So wäre es denn auch zu einfach, den Identitätswirrwarr des Othello im 21. Jahrhundert aufs zweifarbige Schwarz-Weiss zu reduzieren. Facebook als Ort der vielen Identitäten – so wie sie gerade der augenblicklichen Stimmung entsprechen – erfährt eine theatralische Inszenierung. Die Versuchung einer virtuellen Identität ohne Verpflichtung wird im Stück angesprochen – und die Frage gestellt. Ist Identität letztlich immer ein Konstrukt? „Fake dich“, lautet die Antwort; eine Aufforderung mit einem für einmal anderen F-Wort.
Unter der Regie von Patrick Gusset und Laurent Gröflin ist eine Inszenierung von Othello entstanden, wie sie aktueller und vielschichtiger nicht sein könnte. Es handelt sich dabei um eines von zwei Gastspielen aus Basel und Amsterdam am Fabriktheater in der Roten Fabrik in Zürich, die sich mit den Themen Männlichkeit und Biographie auseinandersetzen.