Mozart wie damals – neu gehört
Die Veranstaltung
Was: Orchestre des Champs-Elysées
Wo: Tonhalle Zürich
Wann: 12.10.2010
Bereich: Musik
Die Autorin
Gabriele Spiller: Kulturvermittlerin, Journalistin und Autorin: http://gabriele-spiller.jimdo.com
Die Kritik
Lektorat: Moritz Weber.
Von Gabriele Spiller, 15.10.2010
Ist es das Ohr, das sich an die eingeschränkte Dynamik der Originalinstrumente gewöhnen muss? Oder beginnt die späte Sinfonie in g-moll KV 550 wirklich etwas matt? Allein die Holzbläser steigen klar über den dumpfen Sound: eine barocke Traversflöte und Oboen, dazu die während Mozarts Lebzeiten erfundene und nachträglich eingefügte Klarinette. Zehn Jahre vor dem Entstehen dieser Sinfonie hatte Mozart zum ersten Mal Klarinetten gehört und schrieb an seinen Vater: «Ach, wenn wir nur Clarinetti hätten! – Sie glauben nicht, was eine Sinfonie mit Flauten, Oboen und Clarinetten einen herrlichen Effect macht!»
Die vorletzte Sinfonie, gedrängt und fahrig
Mozart gab sich im Sommer 1788 nur zwei Monate, um dieses gewichtige Werk zu komponieren, das in der Tonhalle Zürich unter der Leitung von Philippe Herreweghe vom Orchestre des Champs-Elysées intoniert wurde. In der Entstehungszeit dieser vorletzten Sinfonie muss sich der Musiker traurig und getrieben gefühlt haben. Sein Baby Theresia starb und die Familie Mozart belasteten finanzielle Sorgen. Dennoch entwickelte Mozart fieberhaft seine Ideen. Die Belastungen, die Mozart auszuhalten hatte, meint man aus der Komposition zu herauszuhören. Mozart, der Getriebene. Getrieben sind auch die Streicher, die Herreweghe allzu kurzatmig führt, dennoch kommt aber das Allegro des ersten Satzes schleppend daher.
Das Orchestre des Champs-Elysées ist ein Ensemble, das sich der historischen Aufführungspraxis verschrieben hat, und im Andante wirkt die rund dreissigköpfige Besetzung bereits eher wie ein Hoforchester der Wiener Klassik. Im unruhigen Menuett kommt dann langsam Spiellaune auf. Nun lässt sich auch nicht mehr verbergen, dass Hörner im 18. Jahrhundert so manchen Quäker von sich gaben. Nicht jeder Stoss ein Treffer! Beim motiv- und variantenreichen Finale hat sich das Orchester schliesslich warm gespielt – so könnte es in der Tat zu Mozarts Zeiten geklungen haben. Alles in allem ein routinierter Vortrag, der im Verlauf seiner 40 Minuten Länge an Fahrt gewonnen hat.
Seine allerletzte Komposition, die Seelenmesse
Und dann das grosse Unvollendete: Das Requiem KV 626 von 1791. «Eigentlich ist es ein katholischer Gottesdienst, aber ein Spezieller», so ein Konzertbesucher erklärend zu seiner Frau. Hier sind es das Collegium Vocale Gent und die Accademia Chigiana Siena, sowie ein hervorragendes Solistenquartett (Christina Landshamer, Sopran; Ingeborg Danz, Alt; Robert Getchell, Tenor; Matthew Brook, Bass), die der einstündigen Aufführung etwas Spezielles verleihen. Die hinzugekommene Präsenz der 36 Sänger scheint das Orchester wach und alert zu machen.
Zwei Drittel des Werkes waren bereits fragmentarisch vorhanden, als Mozart 35-jährig verstarb. Sein Schüler Franz Xaver Süssmayr vervollständigte die Arbeit zu einer traditionellen Totenmesse. Die einzelnen Sequenzen werden vom Chor äusserst differenziert vorgetragen. Die Sänger setzen kraftvoll an und schleudern das Dies irae, den Zorn Gottes, gleichsam in den Raum. Leidvoll klingt das Lacrimosa, aber dennoch würdevoll und nicht resigniert. Mozart scheint seinen letzten Gang anzutreten, aber immer mit erhobenem Kopf zur Erlösung strebend. Das Sanctus legte er als Fuge an, als ob man den Allmächtigen nicht oft genug preisen könnte. Zum Ende, als er das ewige Licht, Lux aeterna, erblickt, bleibt er kurz fragend stehen, um – einstimmig auskomponiert – geradlinig in die Ewigkeit einzugehen. Wunderschön und überzeugend die Leistung aller Musiker, Himmel und Hölle auf Erden.