Ein Hesse-Abend aus einem Guss
Die Veranstaltung
Was: Hermann Hesse im Tessin – Hier scheint die Sonne inniger
Wo: Theater Rigiblick
Wann: 14.03.2010
Bereich: Literatur
Die Autorin
Sophie Caflisch: Jahrgang 1983, Studium Phil. I, Assistentin an der Universität Zürich, davor Praktikantin am Fabriktheater Rote Fabrik und am Stadttheater Solothurn. Journalistisch tätig im Rahmen des Nachwuchs-Opernprojektes «OpernHausen».
Die Kritik
Lektorat: Stefan Schöbi.
Von Sophie Caflisch, 15.3.2010
„Hier scheint die Sonne inniger, und die Berge sind röter, hier wachsen Kastanie und Wein, Mandel und Feige, und die Menschen sind gut, gesittet und freundlich, obwohl sie arm sind.“ In freudiger Erwartung von Hermann Hesses Betrachtungen des Tessins herrscht bereits auf der Anfahrt zum einzigen Zürcher Theater mit Standseilbahn-Anschluss andächtiges Schweigen, das sich auch während der Premiere der Lesung nicht auflösen wird. Aus einem Guss sei der Abend, und daher bitte man das Publikum, den Applaus erst am Schluss zu spenden, dafür aber reichlich.
Leichtfüssig und humorvoll
Ein Flügel, ein Notenständer, zwei Bartische und zwei Barhocker schimmern aus dem Halbdunkel und empfangen das Musikerinnenduo Fiona und Ambra Albek und die Rezitatoren Graziella Rossi und Helmut Vogel, alle elegant in Schwarz und mit Mikrofonen ausgerüstet. Die tragenden Stimmen der Sprecher werden angenehm unterstützt, die Violine hingegen wird in den Höhen leider zum Grellen hin verzerrt, und das Kabel bildet eine infusionsartige Verbindung der Musikerin mit ihrem Notenpult. Bedauerlich, dass das Streben nach technischer Einheitlichkeit die virtuose Leistung der Violinistin zeitweise verschleierte. Nichtsdestotrotz sind die Tessiner Zwillingsschwestern perfekt abgestimmt aufeinander und verleihen dem Abend mit luziden Klängen von Francis Poulenc, Manuel de Falla und Wolfgang Amadeus Mozart differenzierte Ruhepole. Graziella Rossi und Helmut Vogel werfen sich beim Rezitieren gewohnt leichtfüssig die Bälle zu.
Die Textauswahl setzt uns hauptsächlich einen gutgelaunten oder gar humorvollen Hesse vor. So hören wir die Erzählung über den Privatgelehrten Doktor Knölge, der von einem selbsternannten Gorilla-Menschen erdrosselt wird, nachdem er über vegetarische Wortschöpfungen sinniert hat. Diese ist inspiriert von Hesses erstem Aufenthalt im Tessin, wo er 1907 auf dem Monte Verità zu einer vegetarischen Kur weilte, hinterher aber einräumte, dass ihn die Annäherung an die Affen geistig nicht sonderlich angeregt habe. Weiter hören wir tessinische Betrachtungen des Wanderers, Landschaftsmalers, Gärtners, Ehrenbürgers und sogar Kapellen- und Kirchenbesuchers Hesse.
Kriegsbilder mit Weichzeichner
Hesse war von der sinnlichen Farbenpracht des Südens und der Lebensfreude seiner Nachbarn fasziniert, wurde aber gleichzeitig vom Entsetzen über den Krieg, von der Sehnsucht nach seinen Kindern und den Abgründen seines Einsiedlerlebens gequält und zum Dichten getrieben. Das bleibt, abgesehen von einigen Kommentaren am Rande, leider aussen vor. Selbst die autobiographische Figur des Malers Klingsor wird vor allem als Bewunderer der schönen Gina zitiert, was ihn schon fast sentimental erscheinen lässt. Wo bleibt der Beamte Friedrich Klein, der irgendwann nicht mehr weiss, ob er seine Familie in Gedanken oder in Realität umgebracht hat und sich schliesslich im Grau des Luganersees verliert?
Nach streng chronologischen Prinzipien kommt wenigstens zum Schluss ein trotziger Ton auf, wo Hesse am Vorabend seines Todes einen geknickten Ast besingt, der hart und zäh noch einen Winter und einen Sommer (lang) knarren will.
Die sorgfältig durchkomponierte Lesung wird wie vorgeschlagen mit reichem Applaus belohnt, was zweifellos der Qualität der Darbietung, viel weniger aber dem Mangel an Ganzheitlichkeit gerecht wird. Etwas weniger Sitte und Freundlichkeit hätten gut getan.