Schwarzer Schwan mit Körbchengrösse D

Die Veranstaltung

Was: Gina - Eugénie Rebetez
Wo: Theaterhaus Gessnerallee
Wann: 11.03.2010
Bereiche: Tanz, Theater

Die Autorin

Fadrina Arpagaus: Jahrgang 1980, Dramaturgin am Theater Basel.

Die Kritik

Lektorat: .

Von Fadrina Arpagaus, 14.3.2010

Eins ist klar: Wenn Eugénie Rebetez fürs Opernhaus-Ballett vorgetanzt hätte, wäre sie abgelehnt worden. Das liegt nicht an ihrem tänzerischen Talent. Sondern schlicht an ihrer Figur. Nicht falsch verstehen: Gerade ihr Körper und die Auseinandersetzung mit ihm machen die junge Jurassierin zu einer ungewöhnlichen Tänzerin und Choreografin. Ohne Eugénie Rebetez’ Körper gäbe es auch Gina, ihr Alter Ego, nicht. Und das wäre schade.

Gina: Eine Frau, ein Körper. Bei Gina ist alles ein bisschen grösser als bei anderen; die Schmolllippen, die Oberweite, die Füsse und ihre Louis-Vuitton-Tasche in XXL, in der man überwintern könnte. Darin birgt sie alle Accessoires für ihren Auftritt als One-Woman-Entertainerin. Noch ist sie keine Lollobrigida oder Josephine Baker. Doch Gina hat ihre eigenen Mittel. Für die nötige Portion Glamour muss eine glitzernde Paillettenjacke reichen, den Rest erledigt ihre Körpersprache. Die Diva in spe kann lächeln wie keine andere, aber auch stammeln, grummeln, tänzeln und mit allen Körperteilen wackeln, bis man nicht mehr weiss, was vorne und hinten ist. Darum ist auch das erste, was wir von Gina sehen, ihr Po. Rückwärts watschelnd bläst sie anmutig in eine Trompete, nur um sich diese gleich darauf zwischen die Beine zu stecken und so einen musikalischen Rülpser Richtung Publikum fahren zu lassen. Elegant ist das nicht. Aber sehr komisch.

Von hips zu tits

Alles an Gina ist verletzlich und verführerisch zugleich. Hemmungslos lässt die Tänzerin ihre Speckröllchen wackeln und ohne Scham die Cellulitis aufschimmern, und manchmal hüpft sogar eine Brust aus den Fugen des schwarzen Kleids. Gleich darauf ist alles wieder perfekte Show: Wenn Gina mit geschürzten Lippen lasziv wie Brigitte Bardot „Je me sens nulle, je suis moche, c’est une catastrophe“ ins Mikrofon haucht, flötetet und kreischt, liegt ihr das Publikum zu Füssen. Genauso, wenn sie zum Tanztraining à la américaine aufruft und mit Kaugummilächeln und perfektem New Yorker Akzent die Übungen diktiert. Da werden „hips“ ganz schnell mal zu „tits“ und Elvis’ legendäre Rock’n’Roll-Verrenkungen zur Lachnummer. Auch eine Prise Klassik gehört zum Programm: Zu Bellinis Oper „Norma“ tanzt Gina den eigenwilligsten Schwarzen Schwan, den die Bühne je gesehen hat.

I’m so Swiss, I’m so sweet

Was Eugénie Rebetez treibt, ist ein Spiel mit ihren eigenen Sehnsüchten und Vorbildern. Überschäumendes Selbstbewusstsein paart sich mit unbarmherziger Ehrlichkeit und lässt sie Sätze sagen wie: „I’m Gina, a fat Swiss Lady“, „Look at all the flesh that is around me“ und „I like to eat, I like to eat, I like to eat.“ Die eigene Selbstentblössung mit derart viel Selbstironie zu betreiben, braucht Mut.

Damit macht Eugénie Rebetez wett, dass ihre getanzten Bilder manchmal etwas hilflos wirken. Wenn sie mit dem schwarzen Vorhang herumtollt und sich in ihm wie in einer schwarzen Riesenburka verheddert, erinnert sie an ein kleines Mädchen, das die Garderobe seiner Mutter anprobiert und sich auf ihren Stöckelschuhen fast den Hals bricht. Das hat kindlichen Charme, ist aber nicht besonders originell. Ansteckend bis zum Schluss bleibt jedoch ihre überbordende Lebensfreude. „Ich liebe mein Leben“, singt sie wiederholt aus vollem Hals. So passt es auch, dass am Ende ihr helles Lachen plötzlich in ein erschöpftes Gähnen übergeht. Ein Sieg der Natürlichkeit.

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