An der Grenze des eigenen Formats gescheitert

Die Veranstaltung

Was: Eva Maria Küpfer – Premiere
Wo: Rote Fabrik, Fabriktheater
Wann: 01.10.2010 bis 03.10.2010
Bereich: Performance

Der Autor

Leo Hofmann: Jahrgang 1986, studiert Musik und Medienkunst an der Hochschule der Künste Bern und arbeitet Teilzeit im Institut für Transdisziplinarität.

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.

Von Leo Hofmann, 3.10.2010

Im Mittelpunkt der Performance «Let’s make up India» – zu sehen im Fabriktheater – steht eine Vaterfigur, deren Spur sich auf dem Subkontinent verliert. Der Tochter hinterlässt der Vater nur eine Kiste mit Briefen und Diapositiven seiner Reise. Mit diesem Material im Gepäck inszeniert Eva Maria Küpfer, Artist in Residence der Roten Fabrik, einen Abend, der Reisebericht, Bewegungstheater und multimediale Installation verknüpft.

«Bombay liegt auch am Meer»

Die Performerin begrüsst unvermittelt die Anwesenden und setzt sich an den Projektor, um im Plauderton die vergilbten Fotos der Vaterfigur zu erläutern. Da die Bilder für sich wenig erzählen, müssen die abgelichteten Motive und Personen für unwahrscheinliche, absurde und teilweise witzig erdachte Spekulationen herhalten: Der Mann hinten rechts im Bild wird zum Schlagenbezwinger, oder der offenherzig lächelnde Inder mit dem Pullover könnte doch ein Kumpel des Vaters gewesen sein. Sehr schnell verlagert sich der Fokus vom abbildenden Vater zum Abgebildeten, vom (vermeintlich) Dokumentarischen hin zum Fiktiven. Die Figur des Vaters bleibt leider völlig kontur- und substanzlos, so dass die erdichteten Passagen keine Konsequenz haben und zu Anekdoten verkommen. Dies raubt der Performance ein wenig den Schwung – die an sich sehr schönen tänzerischen Teile mit ihrem schlichten und fokussierten Gestus leiden unter dem allzu beschaulichen Hintergrund.

Das Stück setzt viele Gestaltungsmittel ein und ist bemüht, alle Sinne anzusprechen. Klangwolken untermalen Grösse und Gewalt vom fremden Land und den Gemütszustand des Reisenden. Gelbe und rote Gewürze in allen farblichen Abstufungen wirbeln durch den Raum, erfüllen ihn mit fernöstlichen Gerüchen, Curry und Kardamom werden zur Spur des Vaters im Sand, zu seiner verstreuten Asche und zeichnen zuletzt – per Ventilator im Raum verteilt – eine erfundene Landkarte aus orangen Landstrichen. Ein starkes Bild, voll sinnlichem und symbolischen Gehalt. Die ästhetische Bearbeitung des Themenfeldes erweist sich als ergiebig. Dennoch macht das Stück von diesen illustrierenden und theatralischen Momenten sehr sparsamen Gebrauch, obwohl es die stärksten sind.

In der Kernfrage ohne Tiefgang

Laut Programm versucht das Stück zu ergründen, wie Wirklichkeit konstruiert wird. Eine knifflige Fragestellung für ein Medium, das Realität schlichtweg über Behauptung schafft. Doch die Tochterfigur steht mit ihren Mutmassungen völlig allein da. Kein kontrastierendes oder differenzierendes Element stört ihre monologische Auslegung. Deshalb vermag das Stück auch keine Ausarbeitung dieser Thematik aufzuziehen – es scheitert an der Grenze seines eigenen Formats und begnügt sich mit einem lakonischen «vielleicht war es aber auch so, dass…». Anders gesagt: Wenn auch die Vieldeutigkeit unserer Erlebnisse einleuchtend aufgefächert wird, wenn die Unschärfe und Komplexität unserer Wahrnehmung mitunter poetisch vor Augen geführt werden, dann erklärt das noch nicht die Muster und Konstruktionsprinzipien von Wirklichkeit. Auch ein Dia, spiegelverkehrt projiziert, gerät zu einem völlig neuen Stimmungsgefüge. Es gerinnt zum Sinnbild von Diversität und Unschärfe unserer Wahrnehmung – mehr nicht.

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