Witziger, aber mutloser Massenselbstmord

Die Veranstaltung

Was: Die wunderbare Reise der Massenselbstmörder
Wo: Theater der Künste, Bühne B
Wann: 27.05.2010 bis 08.06.2010
Bereich: Theater

Der Autor

Robert Salzer: Jahrgang 1983. Seit 2007 Theater- und Filmkritiken für «students.ch». 2009-2011 Ressortleiter Kultur. Weitere Artikel publizierte er bei «nachtkritik.de», «ensuite», «Akademikerzeitung» und «Stattluft».

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.

Von Robert Salzer, 1.6.2010

Der Abend beginnt mit einer Rettung in letzter Minute: Nach seinem vierten Konkurs beschliesst der Kaufmann Onni Rellonen just am Mitsommerfest, dass der vierte auch der letzte bleiben soll. In einer abgelegenen Scheune will er per Kopfschuss Selbstmord begehen. Als Rellonnen aber die Scheune betritt, trifft er auf einen Gesinnungsgenossen, Oberst Hermanni Kemppainen, der eben im Begriff ist, sich mit dem Strick zu erhängen – und dank der unfreiwilligen Begegnung der beiden Selbstmörder in letzter Minute gerettet wird.

Komplizierte letzte Reise

Sophie Stierle, Regiestudentin an der Zürcher Hochschule der Künste, adaptiert in ihrer Masterarbeit den 2002 erschienen Roman «Der wunderbare Massenselbstmord» des Finnen Arto Paasilinna für die Bühne (Koautor ist Hartwin Gromes). Sieben SchauspielerInnen mimen die verschiedenen suizidalen Charaktere, fungieren gleichzeitig als Erzähler, sprechen die Gedanken ihrer Figuren aus und sagen Szenen an. Ist die Handlung zu Beginn noch überschau- und nachvollziehbar, wird es mit fortschreitendem Abend und immer neuen Figuren schwierig zu folgen.

Der Tod wird durch die unerwartete Begegnung zwischen Kaufmann und Oberst noch etwas hinausgeschoben. Was tun die beiden? Sie gehen erstmal in die Sauna, in guter finnischer Tradition. Schwitzend entwickeln sie eine skurrile Idee: Über eine Zeitungsannonce – Denkst Du an Selbstmord? Du bist nicht allein! – suchen sie gleichgesinnte Sterbewillige, um auch ihnen den Gedankenaustausch vor der letzten Verbeugung zu ermöglichen. So findet in Helsinki ein Treffen der Selbstmörder statt und man beschliesst, die Sache, wenn schon, dann schon richtig anzupacken: Gemeinsam soll per Bus ein stilvoller Ort für einen Massensuizid gefunden werden. Die Reise führt zunächst zum Nordkap. Dort könnte man herrlich über die Klippen fahren… doch das Eismeer ist zu kalt für einen würdigen Tod, weshalb die Truppe umkehrt und in die Gegenrichtung weiterfährt um ein neues Plätzchen zu finden…

Viel Form, wenig Stringenz

Beeindruckend ist die Spielfreude der Mitwirkenden (Utz Bodamer, Marie Gesien, Nadim Jarrar, Stéphanie Maurer, Petra Schmidig, Florian Steiner, Ronja Wiefe). Sei es durch Akrobatik, Gesang oder slapstickartigen Einlagen, den Schauspielern wird in den 100 Minuten viel abverlangt. Die sehr reduzierte Bühne (Barbara Pfyffer) gibt dem Spiel viel Platz und besteht aus einer leicht ansteigenden grünen Unterlage sowie an der Hinterseite einem langen Regal, auf welchem Requisiten stehen. Beinahe alles wird erspielt und mit einer Tätigkeit verknüpft. An witzigen Einfällen mangelt es nicht: Der fahrende Buss setzt sich beispielsweise wirkungsvoll aus eng aneinandergeschmiegten Fahrgästen und einer Nebelmaschine zusammen. Manchmal wäre allerdings weniger mehr: eine Akzentverschiebung von Form zu Inhalt hätte das Verständnis erleichtert.

Das Vertrauen in die Ausdruckskraft einer Person, die nur spricht und sonst nichts tut, scheint gefehlt zu haben. Abgesehen von Onni und dem Oberst blieben viele Figuren schwer greifbar, etwa der schizophrene «Seemann zu Land» oder die mysteriöse junge Frau, deren Tätigkeit fast allein darin besteht, über ihren iPod wunderbare finnische Musik einzuspielen. Die Reise der Massenselbstmörder macht Lust, Finnland zu bereisen. Mit Rückflugticket.

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