Schlaf, Bömblein, schlaf
Die Veranstaltung
Was: Die Schläferinnen
Wo: Theater Neumarkt
Wann: 27.05.2010 bis 25.06.2010
Bereich: Theater
Die Autorin
Fadrina Arpagaus: Jahrgang 1980, Dramaturgin am Theater Basel.
Die Kritik
Lektorat: Christian Felix.
Von Fadrina Arpagaus, 29.5.2010
Das Desaster klopft spät abends an die Tür der Neumarkt-Bühne in der Chorgasse 5 ‑ nicht höflich, sondern so vehement, dass Maya die Frau, die hysterisch Einlass begehrt und behauptet, ihr Freund habe sie verprügelt, trotz tausend innerer Widerstände in ihre Wohnung lässt. Alle Versuche, Rebecca wieder loszuwerden, scheitern, denn Rebeccas Tränen triefende Schilderung des Frauenhauses als Konzentrationslager-Vorstufe sowie ihre emotionale Erpressung («Wenn ich nicht bei dir bleiben darf, bringe ich mich um!») funktionieren besser als Mayas Alarmanlage.
So sitzen in Anna Papsts Stück «Die Schläferinnen» unvermittelt zwei junge Frauen dicht gedrängt in einer Wohnung, die aussieht wie das Innere einer Konservendose (Bühne: Gabriela Neubauer): eine Lebenssüchtige und eine Einsiedlerin, eine mit Stabilitätsdefizit und eine (vermeintlich) Stabile.
Abenteuerlustiges Rotkäppchen und graue Maus
Von Anfang an bestechend ist das Zusammenspiel der beiden jungen Schauspielerinnen Maxi Schmitz (Maya) und Jeanne Werner (Rebecca). Das Stück bezieht seine ganze Dynamik aus dem ungleichen Mädchenpaar, das mit seiner Körpersprache eine subtile Leibesnähe evoziert, sich im Dialog aber ständig wortreich die eigenen Persönlichkeitsdifferenzen um den Kopf haut.
Rebecca ist zuerst die Erzähl- und Lügengewandtere: So heisst ihr Freund einmal Georg, einmal Johann, und der einzige blaue Fleck, den sie tatsächlich hat, ist der Lidschatten auf ihren Augendeckeln. Mit Kaffeetassen stösst sie so klirrend-enthusiastisch auf das Leben an, als perle darin Champagner, und was es aus ihrem knallrot geschminkten Rotkäppchen-Mund plappert, sind abgebrühte Lebensweisheiten, die ihr bei weitem nicht so gut stehen wie die blonde Kurzhaarfrisur, aber die gleiche Funktion haben wie die dicken Wohnungsbunkerwände für Maya: Schutz vor dem Leben, das sich so verlockend und verwirrend zugleich zeigt.
Was der eigenbrötlerischen Biochemikerin Maya alles bedeutet hat, verliert für sie im Kontakt mit Rebecca plötzlich an Wert. Das Urteil, das sie bald über sich selbst fällt, ist vernichtend: Langweilig. Und Rebecca, die es schon wieder weiterzieht, bringt den Unterschied zwischen ihnen auf den Punkt: «Du lachst halt lieber über Salatschüsseln als über Sex.»
Baukasten-Identitäten
Um Rebecca zu halten, muss für Maya schleunigst ein interessantes Ich her, das sie sich aus Biografiebruchstücken schnell selbst zimmert: Man nehme einen iranischen Vater, seine Tätigkeit als Nuklearwissenschaftler und sein Verschwinden nach dem 11. September 2001. Rebecca beisst an, und die Verschwörungstheorie, an der die beiden basteln, bietet ihnen bald eine neue Projektionsfläche für ihre eigene Identität. Während Rebecca Maya solange zur Märtyrerin stilisiert, bis diese sich einen Dynamitgürtel umschnallt, beschleunigt der dezente Elektro-Soundtrack von DJ MT Dancefloor das stete Hintergrundtröpfeln zum rasanten Bombenticken. Das erfundene Ich wird zur Realität ohne Notausgang: Maya stirbt den Heldentod, enthusiastisch und panisch zugleich.
Harmlos wie ein Kindergeburtstag
Inhaltlich bleibt der Plot von Regisseurin Anna Papsts Regie-Masterarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste erstaunlich naiv. Geschichten anprobieren wie Kleider, das machte schon Max Frisch vor fünfzig Jahren, und das Spiel mit Identitäten im Zeitalter des «Post» und «Pop» ist ein Thema, das von Theorie, Wissenschaft und Kunst abgeholzt worden ist bis zum Kahlschlag. Wirklich spannend kann das Thema nur noch für diejenigen sein, die ganz am Anfang ihrer Ich-Suche stehen: für Kinder und Jugendliche. Obwohl Papst ihren Text pointiert und dramaturgisch dicht dialogisiert hat, ist das Ende absehbar und die Frage, wer wir eigentlich sind zwischen dem Du und dem Ich, so ausgelutscht wie die löchrigen Socken von Maya. Die Inszenierung bleibt damit das, was sie auch sein will: ein Stück für IdentitätssucherInnen ab 14 Jahren. Nicht weniger, aber leider auch nicht mehr.