Italienisch für Anfänger oder: Inbrünstige Posen in glitzernden Hosen

Die Veranstaltung

Was: Azzurro
Wo: Theater Rigiblick
Wann: 06.03.2010 bis 10.06.2010
Bereich: Theater

Die Autorin

Anja Wegmann: Jahrgang 1981, unterrichtet seit ihrem Germanistikstudium in Zürich und Berlin am Gymnasium. Daneben schnuppert sie gerne Redaktionsluft und gönnt sich Abstecher in die Theaterwelt. Letzteres unterdessen nicht nur genüsslich zuschauend und kritisch zerpflückend; die Weiterbildung in Theaterpädagogik an der ZHdK sieht nämlich vor, Madame dann und wann auch mal selbst auf die Bretter klettern zu lassen, die die Welt …

Die Kritik

Lektorat: .

Von Anja Wegmann, 9.3.2010

Volles Haus im Theater Rigiblick, als Direktor Daniel Rohr zu seinem italiennostalgischen Liederabend „Azzurro“ lädt. Denn damit hat es das Publikum vorrangig zu tun, auch wenn mit allerhand Theatralischem aufgewartet wird: mit einer musikalischen Revue der meistbekannten und ‑geträllerten Schlager aus dem Land der Celentanos, Contes und Ramazottis. Die Zuhörerschaft ist zufrieden: Schon bald nach Vorstellungsbeginn wird geklatscht und gejubelt, nimmt das Amüsement seinen heiteren Lauf.

Krasse Karikatur

Die Story des heutigen Abends ist kurz erzählt und tut kaum etwas zur Sache. Bei Daniel Rohr alias Richard Hülsner alias Giovanni Calzone haben wir es mit einem bereits etwas abgehalfterten Barsänger zu tun, dessen musikalische Karriere seit geraumer Zeit stagniert, weshalb er allabendlich die Gäste des Hotels Excelsior mit Schlagern zu beglücken hat. So fesch sein silbern glitzerndes Entertainer-Tenue, so peinlich berührt – mit Absicht – seine Show die distinguierten Hörer: wiederverwertbar seit Jahren das Unterhaltungsprogramm, immergleich und unvermeidlich die Verabschiedung der werten Hotelgäste mit „Ciao ciao“ und der Mitteilung, man möge sich am nächsten Morgen um acht Uhr am Pool zur Gymnastik einfinden, nicht zu vergessen die obligate Sportmatte. Wer den Witz, den Reiz der Wiederholung, durchschaut hat, kann sich in Erwartung desselben ungestört dem Kichern hingeben. Offenbar werden hier Pauschalurlauber ebenso durch den Kakao gezogen wie all jene, die von „Azzurro“, „Volare“ und „Quando, quando, quando“ nur jeweils den Refrain und, vielleicht, die erste Strophe mitzusingen wissen – laut, mit krassem deutschen Akzent, unbedarft. Auf dramaturgische Finessen kommt es nicht an, und dem Publikum ist es herzlich egal, dass spätestens nach fünfzehn Minuten auch dem Hinterletzten klar geworden ist, worum es an diesem Abend geht: darum, die Songs zu parodieren, möglichst in Richtung Karikatur.

Insbrünstige Posen, glitzernder Glamour

So simpel er auch ist, der Scherz scheint zu funktionieren: Angesichts von Calzones inbrünstigen Posen, die sich samt und sonders dem Klischee des selbstverliebten italienischen Machos verdanken, kann sich auch der kritische Hörer nach und nach ein Grinsen nicht verkneifen. Im Scheinwerferkegel gefangen, gefällt sich Sänger Calzone von Beginn an im beherzten Ausfallschritt mit hoch erhobenem Zeigefinger („Ich zeig’ dir, wo’s lang geht!“), ein unverkennbarer Elvisverschnitt. Dann wieder wird das gelgetränkte Haar nach vorne geworfen, flammt ein durchdringender Blick aus blauen Augen Richtung weibliches Publikum. In jeder Szene, sei es am Flügel oder auf dem Barhocker, führt der Vokalanimateur ein neues Gigolohemd spazieren, auf die Rüschen folgt ein glitzersteinbesetzter V-Ausschnitt, weit geöffnet, wie auch sonst? Ebensowenig fehlen darf der kurze, kehlige Stöhnlaut, alle paar Sekunden hervorgestossen aus animalischer Tiefe… Doch Calzone ist nicht allein: Lustig zu und her geht’s auch im Backstage-Bereich, wo der Sänger mit seinem nicht minder komödiantischen Pianisten Dietmar Loeffler schäkert. Verschmitzt grinst dieser, wenn jener zu punktgenau einstudierten Choreografien ausholt; verballhornend quäkt die Stimme des Begleiters im Background, wenn der Pseudo-Italiener männlich sein Kinn nach vorne reckt, die Oberlippe wolllüstig schürzt und den Silvester Stallone mimt.

Pulver: verschossen

Nach der Hälfte des Stücks ist das Pulver allerdings verschossen, sind sämtliche Posen durchprobiert. Da sich Langeweile einschleicht, muss dramaturgisch ein Talentscout dran glauben, der neue Karrieregelüste weckt; gilt es zu zeigen, wie Barsänger Calzone von Frau Ilse Kramer – Hotelgästin seit nunmehr sechs Jahren, die ihrem Bedürfnis nach italienischen ,Klassikern’ mit bunten Grusskarten Ausdruck verleiht – als erotische Projektionsfigur herangezogen wird. Was die Situation auch nicht besser macht. Der in Vorfreude vergebens vergossene Champagner sowie die von Pianist Loeffler nach Entledigung der Kleider hämisch präsentierten Unterhosen sind gleichfalls überflüssiger Klamauk.

Leichte Kost, doch überaus bekömmlich

Was den Theater-, pardon, Liederabend wieder versöhnlich macht: In den letzten Nummern schlägt die Stimmung auf den negativen Bescheid der Talentfirma hin in Resignation um, worauf Calzone vom refraingesättigten Brüller ins Fach der Traurigkeit wechselt und die Melancholie Einzug halten darf. Plötzlich werden die Ohren gespitzt, wird es mucksmäuschenstill auf den Plätzen, und Daniel Rohr zeigt unverstellt sein gesangliches Können. „Warum nicht gleich so?“, fragt nach Ende der Vorstellung meine Begleitung. Tatsächlich: Wozu die Dreiviertelstunden des Kalauers (mit abnehmendem Unterhaltungseffekt), wenn musikalisch doch noch einiges dringelegen hätte? Wer von „Azzurro“ eine fein austarierte Handlung erwartet, oder, in ernsthafter Italiensehnsucht, ein musikalisch makelloses Konzert, ist fehl am Platz. Gemüter aber, die offen sind für leichtere Kost und einer Stunde schlagerseligen Klamauks nicht abgeneigt, kommen auf ihre Kosten.

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