Nackt steh' ich vor euch …

Die Veranstaltung
Was: Watch me strip!
Wo: Calypso Nightclub, Niederdorfstrasse 60, 8001 Zürich
Wann: 02.05.2014 bis 04.05.2014
Bereiche: Performance, Tanz, Theater
Die Autorin
Esther Becker: Nach einem Theaterstudium an der Zürcher Hochschule der Künste und der Hochschule der Künste Bern studiert Esther Becker momentan literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Sie arbeitet als freie Autorin und Performerin (www.bignotwendigkeit.de) und schreibt regelmässig für die Fabrikzeitung der Roten Fabirk Zürich.
Die Kritik
Lektorat: Moritz Weber.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Thom Truong (siehe Unabhängigkeit).
Von Esther Becker, 3.5.2014
Beim Betreten des Stripklubs Calypso im Niederdorf läuft eine Country Version von «Billie Jean». Das Dekor ist plüschig, exotisch angehaucht mit vielen Plastikpflanzen und der obligatorischen Discokugel. Ich nehme in der Nähe der kleinen Bühne mit zwei Poles platz. Der DJ kündigt Anna an, die derart routiniert strippt, dass ich irgendwie sowohl den Moment des Busen-Blankziehens als auch das Finale, das Ausziehens des Slips, verpasse. Mein Sitznachbar, vermutlich ein regulärer Gast, bemerkt mein Notieren, fragt mich, nach welchen Kriterien ich die Nummern bewerten würde. Schwer zu sagen. Er fand Anna nicht so gut. Warum? Die Haltung sei nicht gut (und meint nicht die innere, sondern die Körperhaltung, vermute ich). Ich sage, ich hätte es etwas mechanisch gefunden, darauf erwidert er nichts mehr.
Mehr als nur erotisch
Nahtlos geht’s vom regulären Programm in den «Showteil» über, so sagt der DJ Angela Pina Ganzonis Nummer an. Die Bühne wird zur Arena wenn die Künstlerin barbusig, mit blau glänzendem Boy Brief loslegt. Sie wirkt wie eine Mischung aus Sumo-Ringerin, Bodybuilderin und Gladiatorin. Sie schaut uns an, während ihrer Liegestütze, ihrer bis zum Exzess wiederholten Rammel-Bewegungen. Die Zuschauer lachen, als sie wie am Strand unter einem umgeknoteten Tuch die Unterhose auszieht, mit einem verschmitzten Siegerlächeln zeigt sie sekundenweise ihre Scham. Als sie dann verstörend schön und melancholisch zu jodeln beginnt und zum Akkordeon greift, wird jedem klar: Das hier ist anders gemeint, als (nur) erotisch.
Patrick Balaraj Yogarajan Amateurstrip in Feel Good Movie-Manier (klassisch zu «You Can Leave Your Hat On») ist «süss», wie die Mädels Clique vor mir befindet, bis er uns – Patrik Lindermohr zitierend – fragt, ob der Striptease nun «eine Zerstreuung für Intellektuelle» geworden sei (Treffer versenkt, im vollen Haus sitzt bestimmt 50% Kulturpubikum). Er spricht von Chevaliers «Métaphysique du strip-tease», Freud und erotischer Läuterung. Zurück zur Praxis: Wo ist meine Unterhose? Das Publikum reicht ihm die verstreuten Klamotten hoch, wir schauen ihm beim Anziehen zu.
… und warte auf Liebe
Steven Schochs Nummer beginnt nackt. Sein wiederholtes «ah» wird geloopt, während er sich mit Klebeband den Penis zwischen die Beine tapt, danach Beine und Oberkörper damit umwickelt und schliesslich zwei Hörner am Kopf befestigt. Er schlüpft in Stachel High-Heels, fährt mit den Händen den Körper hinab, wiederholt zum schamanisch anschwellenden Loop Sound einen fliessenden Strip-Move und wiederholt ihn stur, bis es wehtut. Da hilft auch kein Nebel. Er kratzt sich die Klebestreifen immer mehr vom Körper, die Bewegungen werden zum masochistischen Zwangsritual, wir sehen die Kratzwunden. Dann ist es vorbei, ein Mensch steht vor uns, nackt im doppelten Sinne, in seiner ganzen Verletzbarkeit. Und wartet. Auf Applaus? Auf Liebe?
Schwangerschaftsvertretung mit Peitsche
Zihan Loo tritt mit brennender Kerze auf, tanzt zu «Mea Culpa» einen Nonnenstrip, träufelt sich Wachs auf die Haut, peitsch sich zart mit seinem Gürtel, dazu pantomimisches Korsett-Öffnen und Höschen-Ausziehen. Dann ergreift Marina Zeller das Wort, es ist ihr Strip, den Loo mit ihrer Hilfe einstudiert und nun an ihrer statt gezeigt hat, als Schwangerschaftsvertretung sozusagen. Loo erzählt wie schwer es war ihre fliessenden Bewegungen zu imitieren, dass er die Stelle mit dem Spagat am liebsten mag. Marina mag den Korsettmoment, wo sie Blicke des Publikums im Rücken spürt. Das Slip-Ausziehen mag sie nicht: «Wenn man ganz nackt ist, gibt es keinen Raum mehr zum Spielen», sagt sie, deshalb ziehe sie manchmal zwei übereinander an.
Doch was hier gespielt wird, öffnet einige Gedankenräume: Die beiden tanzen den Beginn des Strips im Duett, dann wird die Meisterin zu einem Stuhl geführt, und wir dürfen ihr zusehen, wie sie darauf thronend ihrem Schüler zusieht, der nur für sie den Rest tanzt, ihr die Imitation als Hommage, als Geschenk darbietet.
Teasen mit Durchlässigkeit
Thom Truong gelingt es, Ambivalenzen in die Calypso-Routine zu schmuggeln und Erwartungen zu brechen, ohne den Exotismus des Ortes auszubeuten. Sie teasen das Publikum mit Komik, Theorie und Poesie statt (nur) mit nackter Haut.
Als mit Nataljas Auftritt – die mit Plexiglasabsätzen umknickt, und das einfach überspielt – wieder das reguläre Programm weitergeht, denke ich: Ein Hauptunterschied zwischen dem «normalen» Striptease und den Nummern von «Watch me strip!» ist die Durchlässigkeit der TänzerInnen. Sie können sie sich leisten, da sie als Personen wahrgenommen werden dürfen, die eine Illusion kreieren, nicht nur als die Illusion selbst.