Ein Tag im Iran

Die Veranstaltung
Was: Vive la Résstance! Internationales Filmfestival Freiburg
Wo: Fribourg
Wann: 29.03.2014 bis 06.04.2014
Bereich: Film+Fotografie
Der Autor
Christian Felix: Jahrgang 1960, arbeitet seit 2004 selbstständig als Drehbuchautor. Daneben schreibt er Reden, Buchkritiken, Zeitungs-/Magazinartikel, sowie Editorials (www.christianfelix.ch)
Die Kritik
Lektorat: Tabea Buri.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Festival International de Films de Fribourg (siehe Unabhängigkeit).
Von Christian Felix, 4.4.2014
Das Festival International de Film de Fribourg (FIFF) zeigt 2014 als einer seiner Schwerpunkt Filme aus dem Iran. Neben Beiträgen zum Wettbewerb gibt es in Freiburg eine Hommage an den iranischen Film. Vierzehn Filmschaffende aus dem Iran haben 27 Schlüsselwerke der iranischen Filmgeschichte ausgewählt. Dass all diese Filme zusammen an einem Festival gezeigt werden können, ist einmalig. Viele unter ihnen konnten wegen der Zensur im Iran selbst nie öffentlich vorgeführt werden. Von manchen Werken war nur unter enormen Anstrengungen eine Kopie aufzutreiben. Vier Filme hintereinander, zwei Wettbewerbsfilme und zwei Werke aus dem Programm der Hommage, waren am 1. April sehen.
Messer im Wald
Den Auftakt im Film «Fish and Cat / Mahi va Gorbeh» von Shahram Mokri bilden Szenen in einem winterlichen Laubwald – Braun- und Beigetöne in allen Schattierungen, bedeckter Himmel, Vogelstimmen. Einige gestaute Weiher, darin abgestorbene Bäume. Man wähnt sich in Mitteleuropa. In dieser Szenerie schlagen junge Männer und Frauen ihre Zelte auf. Sie treffen sich zu einem Drachen-Festival. Ihr Umgang ist locker, wie man es sich von jungen Menschen gewöhnt. Kaum etwas deutet darauf hin, dass man sich hier in der iranischen Gottesrepublik befindet, höchstens dass die Frauen ihr Haar mit einer Mütze und einem bunten Schal so knapp bedecken. Aber das könnte auch dem kühlen Wetter geschuldet sein. Auffällig ist, wie bunt die Jungen gekleidet sind. Es sind Farbtupfer in einer braungrauen Welt, genau so wie die Drachen, die nachts mit Lichtern geschmückt aufsteigen. Es wird deutlich, dass hier auf Filme, Filmemacher und ein Filmfestival angespielt wird.
In den Wäldern schleichen aber noch ganz andere Typen herum. Es sind etwas ältere Männer in abgeschossenen Kleidern. Sie schleppen verrottetes Fleisch und Benzin durch den Wald, sprechen über den Irak-Krieg, den die Jungen nicht mehr erlebt haben, zücken ab und zu einen Dolch. Man weiss, dass die Typen im Wald Übles im Schild führen. Wie Haie mit messerscharfen Zähen umkreisen sie das Drachenfestival. Dem Film vorangestellt ist eine Zeitungsnachricht, die ein Gerücht verbreitet: In einem Restaurant der Gegend sei bei einer Lebensmittelinspektion Menschenfleisch gefunden worden. Die Geschichte geht nicht gut aus.
Was in diesem Film noch als Parabel erzählt wird, führt Mohammad Rasulof in seinem Werk «Manuscripts Don’t Burn / Dast-Neveshtehaa Nemisoosand» auf der Leinwand direkt vor. Mehrfach wurden im Iran oppositionelle Kulturschaffende erdolcht und grauenhaft zugerichtet aufgefunden. Dahinter steckt der iranische Geheimdienst. So die Aussage des zweiten Films. Und wohl auch die Realität.
Ersticken
Der spannende Thriller «Manuscripts Don’t Burn» kommt in wenigen Wochen in der Schweiz in die Kinos. Er erzählt die Geschichte einer Gruppe von Schriftstellern, die alle Zeugen einer gescheiterten Geheimdienstorganisation wurden. Einer schreibt ein Manuskript darüber und versteckt zwei Exemplare bei befreundeten Autoren. Der Geheimdienst kommt dahinter und holt zu einem brutalen Schlag aus. Einer der Autoren wird von einem Geheimdienstagenten geknebelt und die Nase wird ihm zugeklemmt. Der Mann bekommt keinen Sauerstoff mehr. Auch hier liegt die Metapher auf der Hand. Das Regime im Iran erstickt das kulturelle Leben im Land. Der Film führt uns die Werkzeuge vor: Plastiktüten und Henkersschlingen. Diese sind heute im Iran in regem Gebrauch. Nicht ganz zufällig erstickte auch der Vater des mordenden Agenten, als dieser noch ein Kind war.
Unten und oben
«Manuscripts Don’t Burn» wird aus der Perspektive dieses Mörders erzählt. Er wohnt mit seiner Frau in einer fürchterlichen Absteige im Süden Teherans. Sein kleiner Jung ist krank und benötigt dringend eine Operation. Deshalb lässt sich der Vater Mal für Mal als Killer anheuern. Doch der Lohn dafür kommt auf dem Konto einfach nicht an. Der Mann fürchtet allmählich, Gott könnte an seinem kleinen Sohn Rache für seine Taten üben. So ist der Mörder selbst Opfer. Von einer Wohnung, wie sie die Schriftsteller an den nördlichen Hügeln über der Stadt besitzen, kann er nur träumen.
In beiden Filmen wirkt der soziale Gegensatz in der iranischen Gesellschaft als ein Nebenkonflikt, der dem Hauptkonflikt zuwider läuft. Die Handlanger und Anhänger des Regimes sitzen in der Gosse. Die jungen Leute am Teich hingegen kennen den Westen – Kanada, Frankreich – haben dort studiert, haben Freunde und Verwandte in Toronto und Paris. Sie besitzen Autos, Handys und alles, was zu einer modernen Outdoor-Aktivität gehört. Der Kadermann des Geheimdienst in «Manuscripts Don’t Burn», der gleichzeitig eine Zeitung leitet, wirft einem Schriftsteller vor: «Ihr wollt Freiheit und verrät gleichzeitig euer Volk».
Der Mörder ist König
Es fragt sich indes, wer das Volk ist, und wer dazu befugt ist, es zu regieren. Dieser Frage geht das Werk «Death of Yazdgerd / Marg Yazdgerd» (1982) nach. Bahram Beizai verfilmte dazu ein Theaterstück in klassischer Manier. Die Leiche des Königs (Schahs) wird bei einem armen Müller, seiner Frau und seiner Tochter gefunden. Der Müllersmann hat den Herrscher umgebracht, um ihn zu berauben. Oder vielleicht, weil der König mit seiner Frau schlief. Das Gefolge des Königs, Reichsverweser, Heeresführer und Priester, verurteilt den Müller zu einem brutalen Tod. Während der Galgen errichtet wird, versucht die Müllerfamilie verzweifelt, das Urteil abzuwenden. Schliesslich gelingt es der Müllerin, die Heeresführer davon zu überzeugen, dass der König den Müller ermordet habe und nun in Armeleutekleidern vor ihnen stehe. Man setzt dem Müller und Mörder die Krone auf, und schon gehen die hohen Herren vor ihm auf die Knie.
Politisch gelesen war das 1982, drei Jahre nach der iranischen Revolution, eine glatte Verhöhnung der neuen Herrscher. Der Film durfte im Iran nie gezeigt werden. Es kommt noch dicker. Die Araber, Erzfeinde der Iraner, stossen mit ihren schwarzen Fahnen zum Haus des Müllers vor. „Nun werden wohl die mit den schwarzen Fahnen entscheiden», sagt die Müllerin am Ende. Damit schuf Bahram Beizai mitten im irakisch-iranischen Krieg eine Verbindung zwischen dem Regime der Ajatollahs und dem Feind auf dem Schlachtfeld.
So deutlich treten längst nicht alle verschlüsselten Aussagen hervor. Über weite Strecken bleibt man in Bezug auf Symbole und Anspielungen im iranischen Film ein Analphabet. Wir verstehen die Sprache nicht, erkennen keine Dialekte oder besondere Sprechweisen. Manchmal hilft Inselwissen. Die schneebedeckten Berge im Norden von Teheran, die Wälder an den Abhängen zum Kaspischen Meer hin, das Meeresufer – dahin ziehen sich im Sommer jene Teheraner zurück, die es sich leisten können. Manche Angehörige der Mittel- und Oberschicht haben dort ihre Sommerhäuser. Die jungen Leute in «Fish and Cat» kommen selbstverständlich aus Teheran. Versteckt und abseits der Stadt gibt es Luft zum atmen. Gerade auch im übertragenen Sinn. Nicht wenige Filme spielen deshalb in dieser Umgebung. Der eine Schriftsteller in «Manuscripts Don’t Burn» besitzt ein Sommerhaus im Gebirge und soll im nahen Wald vom Geheimdienst erhängt werden.
Heile ländliche Welt
Besonders schwierig zu deuten erscheint der Film «Where is the Friend’s Home? / Khane-ye doust kodjast?» (1987). Zunächst sieht man im Werk vor allem die ergreifende Geschichte eines kleinen Jungen in einer heilen ländlichen Welt. Dabei hat man keine Ahnung, wie das iranische Publikum den Film gelesen hat. Jedenfalls zerreisst der Lehrer die Hausaufgaben eines Jungen, weil er sie auf ein Blatt statt ins Heft gemacht hat. Damit bringt der Lehrer den kleinen Buben zum herzerweichenden Weinen. Kurz danach nimmt der Freund des Bestraften dessen Schulheft versehentlich mit nach Hause. Als dieser Freund sein Versehen bemerkt, hält ihn nichts mehr, weder die schimpfende Mutter noch sonst ein Widerstand. Er macht sich auf ins nächste Dorf, um seinem kleinen Freund das Heft zu bringen. In dem Dorf kennt er sich nicht aus. Er findet das Haus des Freundes nicht, sucht aber hartnäckig weiter, bis es Nacht wird.
Die absolute Moral
Auch dieser Film spielt vor dem Hintergrund des Konflikts mit dem Irak. Der achtjährige Krieg hat den Iran um Jahrzehnte zurückgeworfen. Es ist möglich, dass es dem Regisseur auch darum ging, zu zeigen, in welch bitterer Armut die Menschen in der heilen Welt auf dem Land lebten. Die Socken des Jungen sind zerlöchert. Kaum ein älterer Mensch hat noch Zähne. Und die Schulbildung leidet darunter, dass die kleinen Buben schuften müssen und die Hausaufgaben liegen bleiben. Da kann der Lehrer noch so streng sein. Wie weit hier die Sozialkritik geht, ist heute aus europäischer Sicht nicht zu klären. Noch weniger klar ist, weshalb im Film nur kleine Jungs zu sehen sind und kein einziges Mädchen.
Der Junge, der seinen Freund sucht, bewegt sich in einer Welt, in der Kinder nicht als Personen geachtet werden. Der Vater prahlt damit, wie oft er seinen kleinen Sohn schlägt. Doch der Achtjährige wird zum Helden. Er schreckt vor keiner Abweisung zurück, setzt sich über Autoritäten hinweg und lässt es zunehmend an Achtung den Erwachsenen gegenüber fehlen. Das moralische Gebot, dem Freund beizustehen, gilt für ihn absolut. Das erinnert an die europäische Aufklärung, in der aus der absoluten und sogar göttlichen Moral das Recht des Einzelnen auf Widerstand gegen die Staatsgewalt abgeleitet wurde. Damit wird der Film über eine Kindergeschichte politisch aufgeladen. Sein Titel «Khane-ye doust kodjast?» ist eine Zeile aus einem Gedicht. Darin wird der Freund zum Sinnbild aller menschlichen Zuneigung überhöht. Er steht letztlich sogar für Gott, im Islam der grösste Freund des Menschen.
In Freiburg richtet sich das Augenmerk auf Filme aus fremden Kulturen. Sie sind ein Fenster in Welten, aus denen wir über wenig differenzierte Informationen verfügen. Der iranische Film zeigt eine grossartige und in vielen Aspekten moderne Kultur, die sich im Überlebenskampf gegen ein korrumpiertes Regime befindet. Doch man bleibt nicht Zaungast. Konflikte, wie es sie im Iran gibt, sind unserer westlichen Welt weniger fremd als es zunächst erscheint. Mechanismen wie Zensur, geheimdienstliche Überwachung und Korruption funktionieren hier einfach subtiler. Und gibt es nicht auch in Europa die, die sich aufs Volk berufen und selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen, dieses Volk zu vertreten? Wenn der iranische Film fragt: Wer ist das Volk? – sind auch wir um eine Antwort verlegen.
Noch etwas weiteres zeigt der Tag mit den vier iranischen Filmen: Das Festival International de Film de Fribourg (FIFF) verdient mehr Aufmerksamkeit in der Deutschschweiz als bisher.