Der liebe Teufel

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Timo Wopp: Passion
Wo: Im Hochhaus, Limmatplatz
Wann: 10.05.2014
Bereich: Theater

Der Autor

Christian Felix: Jahrgang 1960, arbeitet seit 2004 selbstständig als Drehbuchautor. Daneben schreibt er Reden, Buchkritiken, Zeitungs-/Magazinartikel, sowie Editorials (www.christianfelix.ch)

Die Kritik

Lektorat: Stefan Schöbi.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Migros-Kulturprozent (siehe Unabhängigkeit).

Von Christian Felix, 12.5.2014

Wie ein Zappelphilipp hopst Timo Wopp auf die Bühne und plappert los, als hätte ihn jemand mit einer Feder aufgezogen. Heiliger Bimbam, das geht ab! Man wird in das Programm regelrecht hinein katapultiert. Es bleibt höchstens ein Atemzug, um sich zu fragen, wie lange Timos Triebfeder wohl gespannt bleiben wird. Die Antwort vorweg: Länger als man denkt. Und Timo kann durchaus noch einen Zacken zulegen. Er ist ein aussergewöhnlicher Kabarettist. Soviel ist schnell klar.

Was würde Timo tun?

Sein Programm, mit dem er im Migros-Hochhaus die Schweizer Erstaufführung feiert, heisst «Passion». Der inoffizielle Untertitel dazu lautet: «Wer lachen will, muss leiden.» Als Rahmenhandlung dient ein Lebenshilfeunterricht durch Timo Wopp. Er gibt von der Bühne herab Tipps, wie man sich in der Berufswelt über Wasser hält: Den Chef einfach mal nachäffen! Kommt bestimmt gut! – Natürlich, solche Witze sind einfach gestrickt. Doch auf dieser Ebene entscheidet sich der Match nicht. Was zählt, ist der Teig, in dem die Rosinen bzw. Pointen eingebettet sind.

Im Verhältnis zu seinem Publikum spielt Timo Wopp virtuos auf der Klaviatur der Kommunikationspsychologie. Er bedient sich dabei aller möglichen Kniffs. Fast immer bewegt er sich auf der Metaebene, das heisst, er spricht darüber, was er tut, erzählt und vorführt. Dabei steht er, Timo Wopp Superstar, ganz im Mittelpunkt. «Was würde Timo tun (wwtt)». Daran sollte man sich in jeder Lebenslage halten. Timo schraubt seine Selbstbedeutung in Schwindel erregende Höhen, vergleicht sich mit Christus (der auch eine Passion durchlitt), um sich dann, auf dem Gipfelpunkt der Selbstüberschätzung, der Lächerlichkeit Preis zu geben.

Publikumsmanipulation

Blitzartig tickt Timo Wopp zwischen Witz und Ernst hin und her. Dabei setzt er seine Pointen und Kunststücke ganz gezielt oder sogar provokativ ein, wie ein Psychiater. Er geht frontal auf das Publikum los. Die älteren Zuschauer quält er sogar ein wenig. Ihr kleinen Leute da unten, ich Erfolgsmensch hier oben, so posaunt er es in den Saal. Das ist nur halb ironisch gesprochen. Timo sagt sich, ich bin sportlich, ich bin stark, ich finde mich schön. Und fuchsschlau. Timo beherrscht Mimik und Tanz, er ist unablässig in Bewegung, er jongliert geradezu teuflisch und redet und redet dazu. Wort und Ballwurf sind wie ein Uhrwerk aufeinander abgestimmt. Wer Jonglieren langweilig findet, lernt es mit Timo Wopp lieben. Der Mann ist statt Christus ein Mephisto, der mit dem Publikum wie mit Marionetten umgeht. Und falls nicht doch der Teufel mit im Spiel ist, steckt hinter seinem Programm jedenfalls höllisch viel Knochenarbeit.

Dies alles ist nicht Selbstzweck. Nur dadurch, dass er seinen Auftritt und sein Publikum voll im Griff hat, kann er Grenzen überschreiten, an die sich viele Kabarettisten kaum trauen. Die harmlosere davon ist, dass er Jongliernummern wagt, die nicht immer auf Anhieb gelingen. Er fordert viel von sich. Timo ist über alle Masse eitel und ehrgeizig. Und wann es dann klappt, und das Publikum tobt, nimmt er sich die Frechheit heraus, den Applaus nachzuäffen: «Das wollt ihr also, nichts weiter als solche Zirkusnummern?» Er fordert sein Publikum heraus, droht, wegen mangelnder Beteiligung das Programm vorzeitig abzubrechen. Es scheint ihm Ernst. Die Zuschauer im Saal sind völlig verunsichert. Doch auch dies entpuppt sich als Psychotrick. Am Ende ist man froh, dass Timo überhaupt weiter macht. Er klopft das Publikum weich, bis es ihm mit Begeisterungsstürmen folgt.

Verblüffende Ehrlichkeit als Programm

Erst jetzt kann er sein Spiel weiter treiben, über die Grenzen dessen, was die postmoderne Zensur, sprich die politische Korrektheit, erlaubt. Er verspottet die Religion, und da er schon mal dabei ist, gleich alle Glaubensrichtungen. Noch heikler wird es, wenn Timo über Sex spricht. Er nennt die Sache beim Namen. Das ist nicht immer nur schön. Zuweilen sind seine Pointen pervers, krankhaft und schäbig. Es ist der Hammer, was der Bursche auf der Bühne riskiert. Dabei bleibt Timo immer ehrlich. Ehrlichkeit ist seine stärkste Waffe. Deshalb schliesst ihn das Publikum doch ins Herz. So sehr, dass er am Ende locker mit dem Menschen im Saal plaudern kann.

Timo Wopp bietet mehr als nur Humor auf hohem Nivea, Tanz und Akrobatik, bis einem Hören und Sehen vergeht. Sein Programm hat literarische Qualität. Literarisch in dem Sinne, dass es uns herausfordert, dass es dem Publikum geistige Aktivität abverlangt. Den Zappelphilipp vergisst man nicht so schnell – selbst wenn der eine oder andere ältere Herr, den Timo im Publikum direkt angesprochen hat, vielleicht etwas beleidigt nach Hause geht.

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