Atemberaubender Feminismus

Die Veranstaltung
Was: Flinntheater: Shilpa - The Indian Singer App
Wo: Theater Spektakel, Süd
Wann: 22.08.2014 bis 24.08.2014
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2014
Theater Spektakel
Kulturkritik ist Partner des Theater Spektakels 2014. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Tabea Buri: Ethnologin, Jahrgang 1987
Die Kritik
Lektorat: Carmen Beyer.
Von Tabea Buri, 26.8.2014
Sie wackelt mit den Hüften, drückt abwechslungsweise das rechte oder linke Auge zu und singt dabei «Chuchichästli» – «Tonhöhe Stufe 7, Rauchigkeit Stufe 5, Sexyness Stufe 10». Das ist Shilpa. Shilpa ist eine «Singer-Application» für Smartphones, die Texte und Melodien nach Wunsch anpassen kann. Entstanden aus Einsen und Nullen präsentiert sich die App als schöne indische Frau im Sari ihren Usern, den Zuschauerinnen und Zuschauern. Mit übertriebenem Lächeln und Blinzeln stellt sie sich als Demoversion dem Publikum zur Verfügung und reagiert mit atemberaubender Präzision auf dessen Befehle, bis ihre Stimme genau nach Wunsch eingestellt ist. Dieser Auftritt der brillanten Performerin und Sängerin MD Palavi allein wäre bereits ein Auftritt wert. Es kommt aber noch viel besser.
Latenter Druck
Hinter der userfreundlichen Shilpa steckt die Geschichte einer jungen indischen Sängerin, die der App ihre Stimme leiht. Unterwürfig ihrem Chef und ihrem Vater ergeben, perfektioniert sie die sexuelle Attraktivität ihrer Stimme und lässt sich dazu zwingen, schlüpfrige Lieder in lächerlich kindlicher Art zu interpretieren. Gleichzeitig ist sie auch Schauspielerin und muss das Opfer einer Vergewaltigungsszene auf dem glänzend weissen Marmorboden des Vatikanmuseums spielen – ohne an Anmut oder Erotik zu verlieren. Zusätzlich ist sie als Tochter unaufhörlich den drängenden Fragen ihrer Familie ausgesetzt: Wieso arbeitest Du nur mit Männern? Hast Du Sex? Wann heiratest Du?
Die Performerin der One-Woman-Show wechselt laufend ihre Rollen, um alle Facetten im Leben der jungen indischen Frau aufzuzeigen. Diese findet sich schlussendlich in all ihren Funktionen von latentem Sexismus eingeengt; der Druck kommt von allen Seiten.
«Sexyness rejected»
Am Drehpunkt der Geschichte zerschlägt die Protagonistin voller Wut das elektronische Gerät, aus dem das penetrant fragende Voice-Over ertönt. Von diesem Befreiungsschlag an hat Shilpa, das App, einen Bug. Die Stimme nimmt die Befehle nicht mehr einfach hin: «Sexyness 10 selceted. And rejected.» Eine solch humorvolle und doch bitterernste Auseinandersetzung mit feministischem Widerstand ist besonders in Zeiten von zunehmendem Anti-Feminismus junger Frauen wohltuend.
Hoffnungsvoll entlassen
Ohne dass der Abend je moralisierend oder langweilig würde, verbindet die Regisseurin Sophia Stepf grosse Themen unserer Zeit, so wie die technische Innovationen, Rassismus, Frauenrechte. Sie treibt dabei die Zuschauer und Zuschauerinnen von einer Emotion zur nächsten: Verschämtheit ob den treffenden Analysen über das Publikum, vergnügtes Lachen über die vielen komischen Szenen, Betroffenheit darüber, wie die Protagonistin unterdrückt wird und immer wieder zur Bewunderung für die atemberaubende Stimmgewalt und Bühnenpräsenz der Künstlerin MD Palavis. Es ist ein intensiver Abend, der einen hoffnungsvoll entlässt: So lange solch brillante Kunst entsteht, kann der Kampf gegen das Unrechte nicht verloren sein.