Praxis Neumarkt I – Glück ist, wenn man es packt

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Praxis Neumarkt I
Wo: Theater am Neumarkt
Wann: 24.01.2014
Bereich: Theater

Der Autor

Christian Felix: Jahrgang 1960, arbeitet seit 2004 selbstständig als Drehbuchautor. Daneben schreibt er Reden, Buchkritiken, Zeitungs-/Magazinartikel, sowie Editorials (www.christianfelix.ch)

Die Kritik

Lektorat: Fabienne Schmuki.

Von Christian Felix, 26.1.2014

Das Theater Neumarkt hat sich zwei Tage lang der Glücksforschung verschrieben. Am Freitag ging die erste Etappe über die Bühne. Zwei mal zwei Gesprächpartner suchten nach dem Glück. Wenn man sich auf eine Suche begibt, tut man das, weil etwas fehlt. Also: Wo ist das Glück auf der Strecke geblieben? – In der industriellen Revolution. Bei dieser Umwälzung jedenfalls landen Gespräche über das menschliche Glück immer wieder, zumal der Journalist Daniel Binswanger zunächst den Wirtschaftswissenschafter Hans Christoph Binswanger befragt. Die industrielle Revolution wird zur (falschen) Metapher einer Art Vertreibung aus dem Paradies.

Die wirtschaftliche Voraussetzung

Während man dem Gespräch folgt, hat man H.C. Binswangers Definition von Glück vielleicht schon überhört. Er beschreibt Glück als Abwesenheit von Not. Die Wirtschaft habe dabei die Aufgabe, die Menschen ausreichend mit lebensnotwendigen Gütern zu versorgen. Natürlich entsteht so an sich noch kein Glück, aber es wird ermöglicht. Damit ist man auf der Glücksuche soweit gekommen, wie wenn man auf die Frage «Wo liegt das Theater Neumarkt?» antworten würde: «In Eurasien». Im weiteren Verlauf des Gesprächs geht es um Biswangers – bemerkenswerte – wirtschaftliche Hypothesen. Dabei wird immer deutlicher, dass sich die Ökonomie und das Glück doch eher wie Wolf und Schaf zueinander verhalten.

Das kriegt theoretisch halb Zürich mit. Live. Aus dem Saal twittern Gäste über #PraxisNeumarkt oder über ihre eigenen Konten. Und wer zu dieser Zeit in der Langstrasse zufällig bei Perla-Mode vorbei kommt, sieht die Twitterbeiträge auf einem Bildschirm im Schaufenster. Dieses Experiment will die Mauern des altehrwürdigen Barockgebäudes am Neumarkt sprengen. Das ist Folgerichtig: Mauern und Grenzen gehören sicher zu den ärgsten Feinden des Glücks.

Wenn Dieter Meier glücklich ist…

Gerade die Lebenserfahrung des Multitalents Dieter Meier zeigt dies. Sein Gesprächspartner, der Journalist Finn Canonica von «Das Magazin», vermutet sogar, Dieter Meier hätte neben der Musik, der Kunst, dem Weinbau… sogar das Talent zum glücklich sein. Meier widerspricht: «Ich bin nur immer glücklich, wenn ich dich sehe, Finn!» Dabei scheint es allerdnigs so, als ob Dieter Meier den Mann vom Magazin ein wenig zum Narren hielte. Jedenfalls rutscht er auf schmalen Kufen durch das Gespräch. Er gibt einen Heldenopus zum Besten, mit sich selbst als Protagonisten, nimmt sich dabei aber auf die Schippe, so dass er das Publikum mitsamt Twitterati in der Tasche hat. Die Besucher lachen. Dieter Meier macht sie glücklich. Nur diesmal die zwitschernden Gäste nicht. Sie kommen kaum noch nach mit ihren Daumen auf den Handys.

Canonica lässt derweil nicht locker, bohrt nach: Was sind die glücklichsten Momente im Leben eines Dieter Meiers? Die Antworten überraschen. Am schönsten ist es, wenn es zunächst ganz langweilig, ganz elend langweilig ist. Dies erst erzwingt kreatives Tun. Zum Beispiel Schreiben. Wenn man dann völlig selbstvergessen voll in der Sache aufgeht, ist es plötzlich da, vielleicht ganz unbemerkt und kurz: Das Glück. Es ist das Glück des Kindes im Spiel. Ist der Kritiker in diesem Moment, in dem er schreibt, ebenfalls glücklich? Die Antwort ist ein Seufzer. Der Kritiker heisst nicht Dieter Meier.

Das Paradies

Offensichtlich schildern alle Metaphern vom verlorenen Paradies nichts anderes als den Verlust des Kindheitsglücks. Dieter Meier konnte dieses ausserordentlich geniessen. Seine Eltern verzichteten ganz darauf, ihn zu erziehen. Womit jetzt schon zwei besonders garstige Feinde des Glücks demaskiert wären: Die Ökonomie und die Pädagogik. Man muss also zugeben: Am ersten Tag der Praxis Neumarkt fördert die Glücksforschung durchaus Erkenntnisse zum Vorschein. Es sind unvollständige, bruchstückhafte Einsichten, oft in die Beschaffenheit des Unglücks, manchmal in das Wesen des Glücks.

Wie das Twitter-Experiment ausging, entzieht sich der Kenntnis des Kritikers. Er hätte dazu gleichzeitig vor dem Perla-Mode in der Langstrasse stehen müssen. Dass er dort jedoch von anderen Versprechen des Glücks abgelenkt worden wäre, ist schwer zu vermuten. Im Theater selbst sorgte das Zwitschern für Heiterkeit, eine gute Stimme und kleine Momente des Glücks.

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