Wohlfühlanarchie in Wohlen
Die Veranstaltung
Was: no body
Wo: Bleichi Wohlen
Wann: 20.03.2014 bis 22.03.2014
Bereich: Theater
Die Autorin
Esther Becker: Nach einem Theaterstudium an der Zürcher Hochschule der Künste und der Hochschule der Künste Bern studiert Esther Becker momentan literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Sie arbeitet als freie Autorin und Performerin (www.bignotwendigkeit.de) und schreibt regelmässig für die Fabrikzeitung der Roten Fabirk Zürich.
Die Kritik
Lektorat: Simone Leibundgut.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).
Von Esther Becker, 22.3.2014
«Hiermit erkläre ich, dass ich kein Hund bin» wird in der kleinen, abgedunkelten Küche in der «Bleichi» Wohlen an die Wand projiziert, wo sich die Zuschauer zu Begin des Stücks «no body» besammeln. Man erkläre ausserdem, während der Führung seinen «Aggregatzustand beizubehalten». Kein Problem. Eine per Video eingespielte, zusammengeschnittene Skype-Konversationen stellt die Prototypen des «Internetaktivisten» vor, um die es hier gehen soll: Er/Sie hat das Studium abgebrochen, hängt mit komischen Typen rum und verabschiedet sich für eine Weile von Freunden und Familie, um «e chli d’Wält z’rettä». Auf das Stichwort wird chorisch von der Suche nach einem Weg «aus der Scheisse» berichtet, aber besser auf Hochdeutsch, das Manifest solle ja über Wohlen hinausgehen.
Bin ich schon drin?
Eine Jalousie wird hochgekurbelt und eröffnet den Blick in die kleine Halle nebenan: Der «Operating Room», der die Zuschauer mit laborartigem Bühnenbild (Corrado Dick) aus Metallgestellen, Tonnen und Plastikplane empfängt. Junge Männer in grauen Hoodies steuern hinter Laptops Sound und Bild. Eine Darstellerin in weissem Schutzanzug liest aus dem Logbuch, es sei schon der 371. Tag, doch sie sei immer noch da (und noch nicht drin! Da läuft etwas schief mit der Metamorphose). Ihr und ihrem Mitstreiter, der (Diogenes Zitat?) in einer Tonne steckt, läuft die Zeit ab; «so wird das nie was», prophezeit die Computerstimme, die Befehle für abstrakte Simulationsaufgaben durchgibt und zur Einnahme «der entsprechenden Dosis» (wovon nur?) mahnt. So pauschalfuturistisch geht es weiter, in einem Videoclip sprechen die vier restlichen Darsteller von virtueller Existenz als Rettung der Menschheit, werfen mit Begriffen wie «Digitale Diktatur» um sich und kommen zum Schluss: «Our identitys have no bodies». Die Schutzanzugfrau türmt (ins Internet?), der Tonnenmann bleibt reglos am Boden zurück, die Zuschauer müssen wieder umziehen. «Bin ich schon drin?», fragte Boris Becker 2003 in einem Werbespot für AOL, dasselbe fragt man sich, nachdem man auf Anweisung den «Uploading Room» nebenan betritt.
Fehlende Liveness
In vier sechseckigen Prismen aus halbtransparenter Plane sind ganz Matrix-like die Darsteller installiert. Jede dieser Stationen hakt brav ein anderes Thema ab: Von der Abschaffung des Körpers, den man ja eh nicht mehr spüre, bis hin zur freiwilligen Erblindung durch ständige Selbstbetrachtung im Spiegel à la Narziss. Liveness sucht man vergebens: Die Tatsache, dass alle gesprochenen Texte vom Band kommen, wie auch die inflationär eingesetzten Soundcollagen (Samples aus dem berühmt-berüchtigten «Leave Britney Alone» Youtube-Clip lösen unmittelbare Publikumsreaktionen aus) verstärken das Roboterhafte der Figuren in diesen Tanks. Allerdings unterstreicht es auch die Hermetik der Installation: Die vierte Wand ist dicht. Dann heisst es zurück in den nun mit weissen Planen bedeckten «Operating Room», wo eine vocoderverzerrte Stimme kontextlose Allgemeinplätze wie «We are creating a world where anyone, anywhere may express his or her beliefs, no matter how singular, without fear of being coerced into silence or conformity» rauslässt, dazu gibt es Lotusblüten-Videofootage und spirituelle Choräle.
Keine Sorgen
Es endet, wie es anfing: Via Skypevideo heisst es «Du must dir keine Sorgen machen.» Macht man auch nicht. Als Besucher immer angesprochen, aber nie gemeint, geht man völlig unbehelligt aus diesem Stück, das, so dämmert einem nun, inhaltlich so dünn ist, wie die Plastikplane seines Bühnenbilds. Es zappt sich durch Themen, viel wird anzitiert, doch nichts vertieft. Mit der kurzlebigen Stationsdramaturgie, die analoges Geschehen vermeidet, fällt es nicht sofort auf, doch sobald einem ein wenig Luft, etwas Zeit zum Nachdenken gelassen wird, entlarvt sich die Oberflächlichkeit und Beliebigkeit, mit der alles zusammengemischt ist. Unterhaltsam und humorig («On the Internet, nobody knows you’re a dog») bleibt das Stück harmlos, in dieser hermetischen Anordnung wird auf jegliches Risiko verzichtet. Von wegen Anarchie…