Das grösste Fest aller Zeiten

Die Veranstaltung
Was: Nebelzone
Wo: Theater der Künste, Bühne A
Wann: 13.06.2014 bis 19.06.2014
Bereich: Theater
Die Autorin
Simone Leibundgut: Jahrgang 1986, studierte Germanistik und arbeitete danach in der Presseabteilung verschiedener Verlage in Zürich. Absolviert zurzeit den CAS Kulturmanagment des Stapferhauses in Lenzburg.
Die Kritik
Lektorat: Fabienne Schmuki.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).
Von Simone Leibundgut, 14.6.2014
WIR SIND MORGEN ist eine Diplomproduktion des Studiengangs Bachelor of Arts in Theater/Schauspiel der Zürcher Hochschule der Künste. Die Schauspieler wagen sich in dem Stück an die ganz grossen Fragen: Wer bin ich und was soll ich hier? Wer sind die anderen? Was hat das, was um mich herum passiert («das Draussen», dazu später mehr) mit mir zu tun? Und: Wie kann ich ein besseres Leben führen?
Um diese Fragen zu beantworten, sucht eine Gruppe von jungen Leuten die absolute Isolation, um das grösste Fest aller Zeiten zu feiern. Zu Beginn herrscht denn auch aufgeregte Vorfreude auf das Unbekannte, hysterische Aufbruchsstimmung und aufgeputschte Musical-Harmonie werden verbreitet. Die Gruppe spricht und singt im Chor, die Choreographie ist stimmig. Die Erwartungen an den Abend sind enorm: Der Leistungsgesellschaft entfliehen. Die absolute Ekstase erleben. Einen Partner oder neue Impulse finden. Einfach nur sich selbst sein.
Dass dieses Experiment von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist, wird daher relativ schnell klar. Man kann glücklich sein, traurig, wütend oder hungrig, aber einfach nur sein, wie soll das gehen? Worüber kann man sich als Individuum heutzutage überhaupt definieren? Alles, was man ist, ist man durch die DNA seiner Eltern. Alles, was man noch sein könnte, ist schon jemand anderes. Dies wird eindrücklich demonstriert durch eine Interaktion mit dem Publikum.
Auch die Flucht vor der Leistungsgesellschaft gelingt nur teilweise. Versinnbildlicht wird dies durch eine gesichtslose Person, die Kilometer um Kilometer auf einem imaginären Laufband abspulen muss. Bald zeigt sich, wirklich entfliehen kann niemand, es muss immer weiter gehen.
Vier allgemeingültige Regeln für ein besseres Leben
Woran also soll man sich halten? Im Laufe des Abends werden vier allgemeingültige Regeln präsentiert, eine absurder als die andere, so zum Beispiel: «Ersetzen Sie alle Uhren in Ihrem Haus durch Bilder von Tyrannen der Weltgeschichte». Ist das Glück also in der Gruppe, im Zusammenhalt und im Gemeinschaftsgefühl mit den anderen zu finden? Doch wo bleibt dabei das Individuum mit seinen Wünschen und Ideen?
Es bleibt das Glück zu zweit: Es gibt da diesen kurzen, magischen Moment, ein Paar findet sich, die Zeit steht still. Daneben nimmt alles seinen gewohnten Lauf, nicht allen Gästen scheint die Party (oder die Liebe?) gut zu bekommen, zwei kotzen sich die Seele aus dem Leib, andere finden den ganzen Abend über gar nie zueinander («es gibt da diesen Wal, der von niemandem verstanden wird»). Von alledem scheint unser Liebespaar nichts mitzubekommen, doch dann ist der Zauber auch schon wieder vorbei. Das Lied ist aus, es klingt noch ein wenig nach, doch die beiden trennen sich wieder.
Es wird ja noch nicht mal Wodka getrunken
Irgendwann wird jedem klar, so richtig will heute keine Partystimmung aufkommen. Darüber können auch Wiener Walzer, Glitzertops und Rapeinlagen nicht hinwegtäuschen. Auf das erwartungsvolle «ich bin heute Abend hier, weil» zu Beginn, folgt das desillusionierte «ich weiss gar nicht, warum ich hier bin».
Die ersten Gäste wollen die Party verlassen, doch wohin sollen sie gehen? Die Frage erübrigt sich, da «das Draussen» nun mit Lärm hereinbricht, es konnte nur für eine bestimmte Zeit ausgesperrt bleiben. Hunderte leere Petflaschen rollen unkontrolliert über die Bühne, das Gruppengefüge, kurz zuvor noch im Kreis eingeschworen (eine Reminiszenz an die WM?), bricht auf der Stelle auseinander. Jeder kämpft wieder für sich alleine, gierig, gehetzt, getrieben, panisch, zerstörerisch.
Der Morgen danach
Endlich bricht der nächste Tag an, die Schauspieler liegen erschöpft am Boden. Die Versprechungen des Anfangs wurden nicht eingehalten. Alle guten Vorsätze sind gescheitert, die Isolation ist nicht gelungen, das Glück wurde nicht gefunden. Das war kein Fest oder wenn, dann ein ganz mieses. Es folgt der unvermeidliche Kater, die Ernüchterung, der Abschied. Jeder kehrt dahin zurück, wo er hergekommen ist, weil ja doch nichts anderes übrig bleibt. Diese Erkenntnis ist frustrierend und ermüdend und banal. Aber eben auch wahr und ergreifend, weil so vielleicht das Leben funktioniert.
«Wir wollen nicht an morgen denken. Wir SIND morgen.» Dies ist das doppelte Motto des Abends, das konsequent durchgezogen wird. Und so missraten das grösste Fest aller Zeiten sein mag, so gelungen ist gleichzeitig der Theaterabend, gerade weil man vor den ganz grossen Fragen unserer Zeit nicht zurückgeschreckt ist. Die inhaltliche und formale Umsetzung des Themas überzeugt dabei genauso wie die schauspielerische und musikalische Leistung der Beteiligten. Ob WIR SIND MORGEN das Lebensgefühl einer Generation wiedergibt, wie das Programmheft selbstbewusst behauptet? Eine Art Schockstarre vor zu viel Verantwortung, zu viel Druck, zu vielen Erwartungen? Durchaus möglich. Hingehen!