Oh Kapitalismus, du geiler Diktator

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: KAPITALproject: Das neue Gesicht des Kapitalismus
Wo: Theater der Künste, Bühne B
Wann: 25.04.2014 bis 26.04.2014
Bereiche: Performance, Theater

Die Autorin

Antonia Steger: Jahrgang 1988, studiert Germanistik und Kulturanalyse im Master, arbeitet daneben im Ausstellungsbereich (Kommunikation/Redaktion).

Die Kritik

Lektorat: Moritz Weber.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).

Von Antonia Steger, 27.4.2014

Viele wirtschaftliche Prozesse sind unsichtbar. Hochfrequenzhandel, abstrakte Produkte, Bankgeheimnis. Und wie soll erst recht der Laie etwas verstehen, was nicht einmal die Experten überblicken können…

Das KAPITALproject an der ZHdK hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, Wirtschaftswissen auf die Bühne zu bringen und die neuen Gespenster des Kapitalismus sichtbar zu machen. In einer Zusammenarbeit von Experten und Theaterstudierenden entstand eine Vielzahl kleiner Produktionen, welche die Grenze zwischen Wissenschaft und Kunst zu überwinden trachten. An einer «mimetischen Messe» wurde nun ein Zwischenbericht aufgeführt.

Wer schon hat, bekommt noch mehr

Das Gerüst dieser «offenen Probe» (Stephan Müller, Leitung) bildeten Vorträge einiger eingeladener, oder aber digital per Video zugeschalteter Experten. Was da verhandelt wird, ist brisant. Ein «Experiment im Weltmassstab, wobei man sich den Weltuntergang einfacher vorstellen kann als eine Alternative zum Kapitalismus» (Simon Grand, Initiator des Projektes).

Ein Highlight war Daniel Binswanger, der eine 700-seitige These des Starökonomen Piketty auf 7 min herunterbrechen konnte: Der Anteil am Einkommen verlagert sich immer stärker vom Lohn auf die Zinsen des eigenen Vermögens – wer schon hat, bekommt immer mehr; wer nichts hat, bleibt, wo er ist. In der Schweiz besitzen 1% der Elite 95% des Vermögens, schlimmer als im Absolutismus. Die Schere ist weit gespreizt.

Auch die Politik kommt dran: Caspar Hirschi kritisierte die unhinterfragte Forderung nach grösstmöglicher Transparenz. Das gleissende Scheinwerferlicht lässt das Parlament zu einem illusorischen Theater werden, das sich nur für die Kameras inszeniert, während die eigentlichen Entscheidungen bereits im Hinterzimmer getroffen wurden. Man google einmal Dr. Gregor Gysi.

Schuld ist nicht gleich Schuldgefühl

Die studentischen Produktionen, die aus diesem Projekt entstanden sind, thematisieren unter anderem die Schwierigkeit, abstraktes Wissen in Kunst zu übersetzen. Da versuchten zwei Studentinnen in einem Monat Marx‘ «Kapital» zu lesen und filmten sich dabei. Geschafft haben sie es nicht, weitergekommen sind sie aber wohl schon.

Viele Projekte näherten sich diesem abstrakten Thema über eine emotionale Erfahrung. Berührend war die Tochter, die ein Interview mit ihrem Vater dokumentierte: Dieser verlor in den 90er Jahren eine Unmenge an Geld, ist zwar rechtlich fein raus, jedoch bezahlt er bis heute aus Schuldgefühlen seine Schulden ab. Schuld ist eben nicht gleich Schuld, wie eine andere Performance zeigt – wenn das Schuldgefühl fehlt, kann die monetäre Schuld hemmungslos auf andere abgewälzt werden. Halleluja.

Überhaupt – Kapitalismus und Gefühl passen irgendwie nicht so recht zusammen. In «Capitalism Kills Love» schwadroniert eine zierliche Mini-Lady-Gaga über ihre finanziellen Forderungen an ihren Sponsoren – äh ihren Freund. Währenddessen läuft im Hintergrund eine groteske Chanel-Modenschau, in der magersüchtige Models vor einer Supermarkt-Szenerie durchwedeln.

Was wollen wir eigentlich?

Im KAPITALproject wurde einmal mehr sichtbar, wie unglaublich schwierig akademisches Wissen in Sinnlichkeit zu übersetzen ist. Und doch hat das Potpourri dieses Abends das Potenzial des Projekts gezeigt, welches erst am Anfang steht. Der Wunsch der Veranstalter wäre, diesen Austausch zwischen Wissenschaft und Kunst 5 Jahre dauern zu lassen. Schliesslich könne daraus das eine oder andere Grössere entstehen, wie Stephan Müller vielversprechend antönt. Doch mit Žižeks Worten kann schliesslich gesagt werden: «We don’t really want what we think we desire». Wer weiss, wohin der Kapitalismus uns führt – ob dieser geile Diktator uns zur Besinnungslosigkeit einlullt oder ob wir uns eines Tages doch noch eine andere Welt vorstellen können.

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