Schweizer Zorn in Therapie

Die Veranstaltung
Was: Fritz, wo ist dein Zorn geblieben?
Wo: Theater der Künste, Zeughaus 3
Wann: 20.03.2014 bis 22.03.2014
Bereich: Theater
Die Autorin
Antonia Steger: Jahrgang 1988, studiert Germanistik und Kulturanalyse im Master, arbeitet daneben im Ausstellungsbereich (Kommunikation/Redaktion).
Die Kritik
Lektorat: Christian Felix.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).
Von Antonia Steger, 21.3.2014
Dem Bühnenstück «Fritz, wo ist dein Zorn geblieben» (Text und Regie: Philippe Heule) ist eine kleine Sensation des zivilen Ungehorsams gelungen. Dabei verstand ich zunächst nicht einmal, wo ich hier überhaupt gelandet war. Doch das war schliesslich selbst den Schauspielern in sportlichen Overalls nicht klar. Ein Seminar zur Aggressionsbewältigung sollte hier stattfinden. Eine Weiterbildung für Führungskräfte. Eine Therapie, um die eigenen Fehler in produktive Stärken umzuwandeln.
Die säuselnden PR-Worte verpufften, als es allen dämmerte: Es wird niemand kommen, um zu helfen. Kein Führer, kein Therapeut – keiner, der eine Lösung hat. Das ist doch eine Frechheit! Sollen wir uns etwa noch selbst helfen?! Man hat doch schliesslich Eintritt bezahlt! Die ersten Aggressionen kochen auf der Bühne hoch. Und werden schnell eingedämmt.
Lasst uns Familie stellen!
Lasst uns meditieren! Lasst uns ein Spiel spielen: «Wer mehr hat, hat mehr»! Man trägt schliesslich selbst als Schweizer Laie eine tiefe Kiste an therapeutischen Ansätzen mit sich herum. Doch nach Trainingsplan spontan zu sein, klappt halt schlecht. Die Therapieversuche verzetteln sich. Bloss über etwas ist man sich einig: Den Wilhelm Tell, den möchte man endlich mal nicht mehr aufführen. Das hat nichts mehr mit uns zu tun. Und Goethe war schliesslich kein einziges Mal in der Schweiz. Oder war es Schiller?
Und doch – therapeutische Rollenspielversuche geraten zu Willhelm Tell, Airobic gerät zu Wilhelm Tell. Dieser historische Balast lauert überall. Das ist das Eigentliche, das aus den Untiefen endlich ausbricht: Das Schweiztum, das den klischierten Hausbesitzer beeinflusst, dessen Weitsicht durch die Alpen vor der Tür versperrt wird. Doch von diesem Schweiztum profitiert auch die Studentin, welche die Schweiz als ihre Oase der Erholung betrachtet, seit sie in Berlin lebt. Welcher Mensch, der etwas auf sich hält, hat heute schliesslich schon keine Auslanderfahrung? Doch wer hat andererseits schon selbst eine Initiative gestartet? – Das Stück nimmt Fahrt auf.
Ein weisses Minus auf rotem Grund.
Das Bühnenbild pervertiert die Schweizer Flagge: Es zeigt ein weisses Minus auf rotem Grund. In der Mitte eine Tür, die so richtig zugeknallt werden kann, wenn das Boot mal voll ist. Unbemerkt wandern sie zu – französischer Akzent, Balkan. – Bist du nun so eine eingewanderte Masse, oder was? Ich stimme mit dir ja überein, aber in allem, was du sagst, ist so was leicht Rassistisches…
Nein, eine Lösung gibt es hier keine. Das Theaterstück «Fritz, wo ist dein Zorn geblieben?» (eine Produktion des Studiengangs Master of Arts in Theater, Profil Regie an der Zürcher Hochschule der Künste) führt eine Polyphonie an Schweizer Stimmen auf, die zur politischen Kakophonie mutiert. Die Darsteller spielen sich die Wortbälle mit grösstem Körpereinsatz zu, bieten ein Spektakel an aktualitästsbezogenem Humor. Gleichzeitig macht die Inszenierung in ihrer schäumenden Energie intelligent auf etwas aufmerksam, was in den Diskussionen nach dem 9. Februar 2014 kaum zur Sprache kam.
Stets war vom kleinen Schweizer mit seiner grossen Angst die Rede. Angst vor Überfremdung, Angst vor Dichtestress im Morgenzug. Doch könnte die Angst nicht vielmehr ein Deckmantel für etwas viel Peinlicheres gewesen sein: für einen Schweizer Zorn, der wuchert und wächst, weil er unter der eidgenössischen Höfchlichkeitsmaschinerie nie zur Sprache kommt? Und müsste man mit zornigen Menschen nicht ganz anders umgehen als mit ängstlichen? Einfache Lösungen bieten andere. Aber die Zornigen haben in dieser Inszenierung geredet.
Eben, die Inszenierung: Grandios engagiert, besonnen zornig. Wortgewaltig und sinnlich. Eine kleine Sensation.