Die permanente Apokalypse

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Artaud_into the explosion
Wo: Theater der Künste, Zeughaus 3 im Zeughaushof
Wann: 20.02.2014 bis 22.02.2014
Bereich: Theater

Der Autor

Tilman Hoffer: Jahrgang 1988. Studierte Soziologie, Philosophie und Literarurwissenschaft an der Universität Zürich, gegenwärtig Geschichte und Philosophie des Wissens an der ETH. Ist literarisch tätig.

Die Kritik

Lektorat: Lukas Meyer.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).

Von Tilman Hoffer, 24.2.2014

Im Grunde gibt es nur zwei verschiedene Ansichten darüber, was das Wesen eines revolutionären Augenblicks, eines radikalen Umsturzes ausmacht. Der einen Auffassung nach ist das Entscheidende dabei Befreiung und Fortschritt, der anderen nach ist es Intensität, Gewalt und Vernichtung. Antonin Artaud neigte, um es vorsichtig zu formulieren, eher der zweiten Ansicht zu. Sein «Theater der Grausamkeit» stellte darauf ab, genau dieses Böse, Ekstatische, Katastrophische, das er für den Kern aller Wirklichkeit hielt, in seiner Reinheit zum Vorschein zu bringen.

«Artaud_into the explosion» ist eine auditive Hommage an den bedeutendsten Theatertheoretiker des 20. Jahrhunderts, aber nicht nur. Es sind zwar die Worte des Meisters selbst, die mal feierlich, mal ängstlich, mal abgehackt wie mit einem Maschinengewehr in den Raum geschossen werden. Doch das Werk von Lukas Stucki und FM Einheit, dem langjährigen Schlagzeuger der Einstürzenden Neubauten, soll eine «Sprengung» sein, eine musikalische Beschwörung der Destruktion. Hammerschläge bilden die Ouvertüre; danach beginnt ein akustisches Feuerwerk, das mit seinem Sampling von Industrial-Krach und Elektro-Sound teilweise wie die frühen, rabiaten Stücke von Rammstein klingt; und dann kommen wieder scheinbar friedliche Glocken oder gar Momente totaler Stille, in denen die Luft zu vibrieren scheint.

Aus dem innersten Kreis der Hölle

Ein gigantischer, begehbarer Schlauch nimmt beinahe den gesamten Raum ein; er einnert ein wenig an ein Walfischgerippe. Durch das schwarze Material hindurch, mit dem er bespannt ist, sieht man FM Einheit an seinen Tables, wie er quasi aus dem innersten Kreis der Hölle heraus das Publikum beschallt. Dabei tänzelt er auch an den unpassendsten Stellen mit jener Coolness auf und ab, die aus irgendeinem Grund nur DJ’s haben. Vielleicht, weil es ihr Geschäft ist, per Knopfdruck das Inferno aus dem Ärmel zu schütteln. Zwei lebende Götzen flankieren den Schlauch, es sind die Musiker En Esch und Mona Mur. Ihre Sprech- und Gesangseinlagen sind stark; sie sind gequälte und kaputte Figuren, die sich aber nur Augenblicke später zu martialischen, bösartig grinsenden Ausbrüchen steigern können (dazu mag aber auch ihre Erscheinung, insbesondere der des Sängers und Gitarristen En Esch beitragen – einem Monstrum von einem Mann, der mit seinem kahl rasierten Schädel, seinen Springerstiefeln, seinem absurd-burlesken Kleidchen und seinem leicht irren Blick ohnehin mühelos den Eindruck vermittelt, er würde einen vergewaltigen, sobald man ihm zu nahe kommt).
Pathetisch? Zweifellos, aber auf eine ernsthafte und, wenn man so sagen darf, erwachsene Art und Weise. Man befindet sich hier auf einer gänzlich anderen Ebene als auf der irgendwelcher kindischer Provokationen. Es ist kein Schock im billigen Sinne; die «Sprengung» ist eigentlich weniger eine Sprengung als ein Gleiten durch den Taumel.

Das erotische Tier
Denn man hat nicht so sehr das Gefühl, sich im Kern einer Explosion zu befinden; das Verstörende ist vielmehr, dass es immer weitergeht. Vermutlich gibt es eine Anzahl charakteristischer Momente, die bei jeder Revolution, jedem gewaltsamen Umsturz anzutreffen sind: die Explosion; aber eben auch die Ruhe vor dem Sturm, das Heerlager bei Morgengrauen, die rauchenden Ruinen. Die wuchtigen Klangwelten, die Artauds Predigten unterlegen, bewirken, dass man von einem imaginären Szenario ins nächste getrieben wird – als würde man über eine posthistorischen Kraterlandschaft schweben, wo versprengte Mutanten herumschleichen und am Horizont letzte bedeutungslose Kämpfe verglühen.

In diesen Momenten schaut man das Verderben in all seiner Herrlichkeit. Die Apokalypse ist keine einmalige Katastrophe, sondern omnipräsent und endlos. Kein ekstatischer Orgasmus, sondern ein sich mal hart und brutal, mal rhythmisch, und vereinzelt sogar fast sentimental über die Zeit erstreckender Koitus. Und ja, «der Mensch ist ein erotisches Tier», wie es bei Artaud heisst. Schwierig zu sagen wieso, aber jedes Vernichtungspathos hat fast immer auch eine düstere sexuelle Dimension, mitunter latent, mitunter fast mit Händen zu greifen. Sex ist eine Metapher für fast alles.

Mörderische Metaphysik

Doch noch etwas anderes wird deutlich: Antonin Artaud hatte sich die ausweglose Hölle, von der er schrieb, nicht ausgedacht, er muss sie mit jeder Faser seines Seins gespürt haben. Die Begriffe, die er verwendet, sind oftmals erstaunlich technisch und abstrakt. Aber die Sprache der Theorie verweist hier auf kein System, auf keine geheime Ordnung, die den Dingen zugrunde liegen würde. Sie dient nur der dunklen Suggestivkraft der Worte. «Ein Mosaik aus Detonationen» – so lautet eine der buchstäblich zahllosen Metaphern Artauds für die Auflösung und das Nichts, das im Grunde sein einziges Thema ist. Es geht nicht um die Zerstörung von etwas. Es geht um die Zerstörung, die die Essenz der Welt ist.

Diese mörderische Metaphysik ist trotz allem von visionärer Strahlkraft. Es sei nur exemplarisch darauf verwiesen, dass Michel Foucault sich 1970 in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France voller Ehrfurcht auf jene Denker bezog, die versucht hatten, «den Willen zur Wahrheit umzubiegen und ihn gegen die Wahrheit zu wenden». Zu diesen Gestalten, die folglich immer an der Grenze des Wahnsinns (und schliesslich dann jenseits der Grenze) operierten, zählte er Nietzsche, Bataille und eben Artaud. Man kann es kaum treffender sagen. Gegen die Wahrheit wenden, das heisst auch: versuchen, etwas freizulegen, das sich der Analyse und der Rechtfertigung zwangsläufig entzieht – aber das gleichwohl da ist, unerbittlich, verführerisch und gerade deshalb bedrohlich, ob wir nun wollen oder nicht. Der «Sprengung» von FM Einheit und Lukas Stucki gelingt das meisterhaft.

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