Mit Baudrillard auf Bundys Couch

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Trauer muss Elektra tragen
Wo: Theater der Künste, Bühne B
Wann: 07.03.2013 bis 09.03.2013
Bereich: Theater

Der Autor

Nicolas Bollinger: Jahrgang 1984. Schreibt für das Bieler Tagblatt. Studierte Philosophie und Germanistik an der Universität Bern und derzeit Journalismus am MAZ Luzern und an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg.

Die Kritik

Lektorat: Fabienne Schmuki.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).

Von Nicolas Bollinger, 10.3.2013

Erinnern Sie sich noch an die 90er Jahre? Die Totalität der Massenmedien war an ihrem vorläufigen Kulminationspunkt angelangt und bescherte dem reizhungrigen Publikum via CNN den ersten Live-Krieg der Geschichte. Das Werk Jean Baudrillards fand im deutschsprachigen Raum erstmals eine grössere Resonanz; war Baudrillard zuvor doch dem «American way of life» in all seinen medial konstituierten Klischees und Mythen gefolgt und dabei zum Schluss gelangt, dass Amerika das Reale längst liquidiert hat und nur noch in den eigenen Repräsentationsformen und -mechanismen fortbesteht. Das Ganze ist eine gigantische Filmvorführung, die nur für die Bildschirme lebt und deren Distanz zum Zuschauer völlig verlorengegangen ist. Die Protagonisten einer beliebigen nachmittäglichen Fernsehserie sind nicht weniger real als der Nachbar von nebenan.

Das Leben eine Sitcom

Es hat den Anschein, als hätte sich auch Frederik Tidén für seine Interpretation von Eugene O’Neills Trauer muss Elektra tragen mit diesen Reflexionen befasst. Ganz gemäss Baudrillards Diktum «Die Lacher im amerikanischen Fernsehen haben den Chor der griechischen Tragödie ersetzt» inszeniert der Regisseur seine Vorlage (ihrerseits eine Paraphrase der Orestie des Aischylos) im Stil einer Sitcom, Gelächter ab Band inklusive. In einem trashig fulminanten Auftakt vollzieht sich die Exposition der Figuren per Moderator in einer Mixtur aus Gameshow und Seifenoper.

Wo O’Neill den Amerikanischen Bürgerkrieg als zeitlichen Rahmen gewählt hatte, dient nun der letzte Irakkrieg als Bezugspunkt. Während Lavinia Mannon sehnlichst die Rückkehr ihres Vaters Ezra erwartet, vergnügt sich ihre Mutter Christine mit dem Kapitän Adam Brant und heckt mit ihm ein Komplott zur Ermordung des ungeliebten Ehemannes aus. Nach dem unfreiwilligen Tod des Heimgekehrten kommt Lavinia den Tätern jedoch auf die Schliche und strebt gemeinsam mit dem mittlerweile ebenfalls aus dem Krieg zurückgekehrten Bruder Orin nach Rache.

Die Sitcom als medial verzerrtes Destillat des amerikanischen Lebensstils bildet an diesem Abend im Theater der Künste das wichtigste Darstellungs- und Stilmittel. So verwundert es auch nicht, dass eine Couch, die direkt Al Bundys Wohnzimmer entstammen könnte, als zentrale Requisite den Bühnenraum dominiert. Nahezu jeder Ausspruch, egal in welcher emotionalen Verfasstheit er erfolgt, wird umgehend durch das charakteristische Tonbandgelächter kommentiert. Dieser dramaturgische Kniff kritisiert auf originelle Weise die Wirkung totaler massenmedialer Vereinnahmung auf das emotionale Repertoire: Das gesamte Spektrum zwischenmenschlicher Interaktion gehorcht den drehbuchgesteuerten Affektionskategorien von Fernsehserien. Es gibt Gelächter, es gibt Jubel, es gibt mitleidvolle Bestürzung; und nichts ausserdem. So ingeniös dieser Kunstgriff auf den ersten Blick auch wirken mag, neu ist er nicht. Oliver Stone inszenierte 1994 in seiner filmischen Tour de Force Natural Born Killers ebenfalls eine kurze Sequenz mit den typischen Stilmitteln der amerikanischen Sitcom. Was im Film hervorragend funktioniert, erweist sich auf der Bühne jedoch als nicht unproblematisch. Denn während die Szene bei Stone nur wenige Minuten dauert, zieht sich das Gelächter fast durch einen Drittel des Stücks, und das wirkt auf die Dauer nicht nur ermüdend, sondern regelrecht enervierend.

Kritik und Klischee

Unklar bleibt auch die Frage, ob der Regisseur seine Akteure überdies angewiesen hat, die Bandbreite ihres schauspielerischen Könnens dem emotionalen Spektrum einer Sitcom anzupassen. Besonders bei der Rolle der Lavinia erscheint diese Palette etwas gar limitiert: In nahezu jeder Szene, egal ob wütend, traurig oder erfreut, wirkt sie wie eine zickige, dauergenervte Spätpubertierende, die jedes ihrer Worte in Gestalt eines jähzornigen Geschreis entäussert. Summa summarum wird in dieser Aufführung viel geschrien, für den Geschmack des Kritikers etwas zu viel. Die dadurch erzeugte eindimensionale Wirkung der Figuren macht eine differenzierte Darstellung von Charaktertiefe ziemlich schwierig.

Das Genre der Sitcom sieht sich mit einer weiteren Schwierigkeit konfrontiert. Wie Baudrillard es formuliert: «Anderswo überlässt man dem Zuschauer das Geschäft des Lachens. Hier dagegen wird sein Lachen auf den Bildschirm getragen, in das Spektakel integriert, hier lacht der Bildschirm, er ist es, der sich amüsiert.» Verzichtet man auf die Lacher, bleibt kaum etwas an Witz übrig. Diese Problematik besteht leider auch auf der Bühne: Stimmungen wie Unbehagen, Spannung und Entsetzen werden leider allzu oft nur durch den Einsatz eingespielter Musik erzeugt, während die Schauspieler diese Atmosphären nicht erzeugen können.

Die Inszenierung weist einige sehr originelle Einfälle auf. Beispielsweise wenn der auf der Couch aufgebahrte Leichnam von Ezra in bester Lazarusmanier aufersteht, um mit einer Lobeshymne auf amerikanische «family values» die Situation der eigenen zerrütteten Familie zu kontrastieren. Doch insgesamt feuert die Aufführung ihre amerika- und medienkritischen Salven etwas zu plakativ in die Zuschauerränge. Wenn Ezras Leben ausgerechnet in dem Moment endet, als die auf ihn projizierten TV-Bilder in Rauschen übergehen, dann versteht auch wirklich Jeder im Raum die Botschaft: Das Fernsehen hat den Amerikaner bis in den eigenen Körper durchdrungen und ontologisch abhängig gemacht, das Ende der Bilder bedeutet das Ende des Lebens. Auch bei den von Lavinia gesprochenen letzten Worte des Stücks erfolgt die Kritik mit dem Vorschlaghammer. Der Ausspruch, dass das wahre Amerika in Super-Size-Kühlschränken und nächtlichem Jetskifahren bestehe, eignet sich zwar bestens, um die Versatzstücke eines medial überzeichneten Amerikaklischees zu attackieren, wirkt in der heutigen Zeit jedoch nicht mehr sehr originell. In den 90ern hätte das wohl besser funktioniert.

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