Kuratoren des Zufalls

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Tom Bola: Mitternachtsstunde
Wo: Kirchenweg 8, 8008 Zürich
Wann: 29.08.2013
Bereich: Bildende Kunst

Die Autorin

Antonia Steger: Jahrgang 1988, studiert Germanistik und Kulturanalyse im Master, arbeitet daneben im Ausstellungsbereich (Kommunikation/Redaktion).

Die Kritik

Lektorat: Fabienne Schmuki.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Tom Bola (siehe Unabhängigkeit).

Von Antonia Steger, 30.8.2013

«Tom Bola» steht für ein mutiges Konzept. Die insgesamt sieben Gruppenausstellungen der Ausstellungsreihe werden massgeblich vom Zufall bestimmt: Sechs Wochen vor der Vernissage wird das Thema der jeweiligen Ausstellung aus Publikumsvorschlägen ausgelost.

Das Thema kann dabei so schwierig umsetzbar geraten wie «Kuckucksnest» oder wegen unleserlicher Handschrift schon mal doppelt gedeutet werden müssen wie «Rot Kot». Nach der Verlosung interpretieren die fünf KuratorInnen Franziska Baumgartner, Vera Egloff, Jan Hostettler, Sebastian Mundwiler und Tobias Nussbaumer das Thema, legen eine generelle Stossrichtung fest. In diesem Interpretationsprozess sammeln die Kuratoren Namen von etablierten sowie aufstrebenden Künstlern, die wiederum für eine Anfrage ausgelost werden. Ob diese dann gerade Zeit und Lust für eine Teilnahme haben, ist der dritte zufällige Moment im kuratorischen Prozess.

Überdimensionale Installation aus Tesafilm

Dieses Konzept mag zwar auf den ersten Blick sperrig sein, erzeugt jedoch in der sechsten Ausgabe zum Thema «Mitternachtsstunde» äusserst interessante Konstellationen. Der Ausstellungsraum wird durch ein Werk von Florian Buerki geprägt. Die Installation «Inside The Shadow, Of The Outside» ist ein filigranes Band aus zusammengeklebtem Tesafilm, gehalten von groben Gerüststangen, und der Schatten davon ist mit schwarzer Kohle am Boden nachgelegt. Durch die geschwungene Form des Tesafilmbandes wird der Raum gleichzeitig getrennt und zusammengeführt – man assoziiert die Sekunde der Mitternacht, die zwei Tage voneinander trennt, obwohl sich die Zeit noch gleich anfühlt.

Unbestimmtheit der Mitternacht

Das Thema «Mitternachtsstunde» wurde im gemeinsamen Prozess zwischen Kuratoren und teilnehmenden Künstlern vor allem auf den Moment des Übergangs hin interpretiert. Mitternacht ist sehr bestimmend, sie ändert Zeit und Tag. Selbst ist sie aber unbestimmt und birgt vielfältige Deutungen bis hin zu mystischen Assoziationen.

Die unbestimmte Bestimmtheit ist zentral im ausgestellten Werk «Glad» von Sam Graf. Vier Glasscheiben stehen an die Wand gelehnt, der Titel keine Hilfe, sondern ein Wortspiel wie ein Tippfehler: Glas wird zu Glad. «Vor einem zeitgenössischen Kunstwerk alleine gelassen zu werden, kann unglaublich langweilig sein», so spitzt sich die erste mild-agressive Reaktion darauf. Doch dann sind da Zahlen ins Glas graviert, 12, 15, 27, 45 oder so. Sie scheinen Sinn zu haben, man möchte sie verbinden. Dreierreihe? Fibonacci? Geheimcode? Ohne auffindbaren Sinn, doch auch weit entfernt vom Zufälligen, schwankt der Betrachter in dieser Unbestimmtheit. Die Provokation wird durch die Zerbrechlichkeit der Glasscheiben jedoch genug sympathisch, dass sie sich in dem Bewusstsein unaufgeregt aufdrängt. Hält der Betrachter diese Unentschiedenheit zwischen Bedeutung und Sinnlosigkeit aus, eröffnet sich ihm ein grosses Feld an Fragen, mit denen die eigenen Sehgewohnheiten und Erwartungen an Kunstwerke hinterfragt werden.

Kunst als Dialog

Das hoch engagierte Kuratorenkollektiv nimmt sich Zeit für Auseinandersetzungen. Auch über die vier anderen ausstellenden KünstlerInnen – Saskia Edens, Glaser/Kunz, Lorenza Diaz, Vanessa Piffaretti – wissen sie viel Spannendes zu erzählen. Schliesslich sind die meisten Werke im Raum auf diese Ausstellung hin in einem kommunikativen Prozess entstanden. Nichts Schlimmeres, als wenn Kunst keinen Dialog erzeugt – die Chance, mit Kuratoren selbst ins Gespräch zu kommen, ist in einem Offspace wie «Tom Bola» unbedingt anzuraten.

Parallel zur sechsten Gruppenausstellung im Seefeld ist ein zweiter Kunstraum in Altstetten per Skype zugeschaltet. In «i shine – you shine» stellen dieselben Künstler ein zweites Mal aus, teils Zitate ihrer Werke, teils Ergänzungen oder Neues. Wer den 25-minütigen Busweg auf sich nimmt, wird besonders charmant mit der kinematographischen Skulptur «Mund» von Glaser/Kunz begrüsst und findet zum Beispiel Spuren von Enstehungsprozessen der Werke im Seefeld. Diese Zusammenschaltung zweier entfernter Räume fungiert wie ein eigenes Kunstwerk, ein kleines Geschenk der Kuratoren an diejenigen, die sich der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst stellen.

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