«Schande» – der Titel ist Programm

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Szégyen / Schande – Kornél Mundruczó & Proton Theater
Wo: Theater Spektakel, Werft
Wann: 24.08.2013 bis 26.08.2013
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2013

Theater Spektakel

Kulturkritik ist Partner des Theater Spektakels 2013. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Antonia Steger: Jahrgang 1988, studiert Germanistik und Kulturanalyse im Master, arbeitet daneben im Ausstellungsbereich (Kommunikation/Redaktion).

Die Kritik

Lektorat: Tabea Buri.

Von Antonia Steger, 2.9.2013

Der Rahmen dieser unerträglichen Inszenierung ist die Post-Apartheid-Gesellschaft. Ein weisser Uni-Professor wird wegen einer Affäre mit einer seiner Studentinnen entlassen, worauf er sich bei seiner Tochter Lucy auf dem Lande einquartiert. Deren Haus wird jedoch kurz danach von Schwarzen überfallen und ausgeraubt. Darauf beginnt eine Auseinandersetzung mit Erniedrigung und kollektiven Traumata. Eigentlich wichtige Themen, Stoff für brillante Umsetzungen. Der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó macht daraus bürgerliche Schock-Unterhaltung mit moralinsaurem Erlösungsende. Doch dazu später.

Sex und Gewalt
Als erstes wird Lucy (Orsolya Tóth) minutenlang vergewaltigt, mit Hundeblut beschmiert, gequält. Die Darstellung ist drastisch. Nackt rasiert und mädchenhaft torkelt Lucy über die Bühne, ist in ihrer hilflosen Hagerkeit durchaus berührend. Die Angreifer jedoch wirken lächerlich, mit schlecht sitzenden Afro-Perücken zum Zeichen ihrer Schwarzheit. Kaspern irgendwie rum, kommen nie gegen die Intensität von Orsolya Tóths Spiel an.
Auch die Affäre des Vaters mit seiner Schülerin wird explizit dargestellt, wenn auch dezent abgedunkelt. In diesen Rahmen passt, dass die Männer ihre Genitalien stets züchtig verdecken, während die Frauen in jeder erdenklichen Form und Position nackt ausgeleuchtet werden. Soll das die Macht der Männer über die Frauen demonstrieren? Naja, wenn klamaukige Schwanzvergleiche zwischen weissen und schwarzen Männern minutenlang herausgegrölt werden, sollte man meinen, dass diese corpora delicti besonders botschaftswirksam gestaltet werden könnten. Doch hier überliess man die körperliche Provokation lieber den Frauen, denn die ist man sich ja schon nackt anzusehen gewohnt.

Tierisches Leid
Neben dem Verhältnis von Männern und Frauen – und undeutlich herausgearbeitet auch das zwischen Weissen und Schwarzen – wird auch das Verhältnis zwischen Mensch und Tier verhandelt. Hunde dienen mal als Unterlegene, dann wieder als Aggressoren und ebenso als Witzfiguren. Mischka, der dicke Hund, wird clownesk vorgeführt – das Publikum nimmt den Lacher gerne entgegen, das Kerlchen ist zweifellos äusserst drollig. Gut. – Völlig sinnlos ist hingegen ein Vogelkäfig, der mit einer Unzahl an lebenden Vögeln bestückt und unbeachtet vor sich hin baumelt, während die Tierchen dank tosenden Gesangseinlagen ängstlich einem Herzinfarkt zu entgehen versuchen. Auch dies ist eine weitere zwecklose Provokation, die ablenkt, statt dass sie in den Dienst eindringlicher Aussagen gestellt wird.

Lähmende Wirkung
Der Abend steigert sich in Unerträglichkeit. Der vielfach gelobte Hyperrealismus in Mundruczós Stück wird nicht konsequent genug durchgezogen, als dass die Inszenierung glaubhaft wäre. Der Regisseur lässt die Schauspieler immer wieder aus ihren Rollen fallen, zum Publikum sprechen, ihre Arbeitskollegen auf die Bühne winken. Der Grundgedanke mag nobel sein, neben all der ‹hyperrealistischen› Provokation darauf hinzuweisen, dass alles nur Theater ist. Zum Zuschauen verwirrt es jedoch nur und bricht jeden Faden des Interesses, der zur Bühne gespannt worden wäre.

Nicht unbedingt platt, aber zögernd, ohne Kraft verpasst der Regisseur die Chance nach eindringlichen Aussagen. Wenn Provokation clever gemacht ist, kann sie als Unbehagen in den Körper dringen, sich dort ausbreiten und von innen her Löcher in die Haut bohren, durch die Dampf abgelassen wird. «Schande» von Kornél Mundruczó ist leider Provokation von der nervigen Sorte. Sie pappt sich auf die Haut, nörgelt rum und lässt jedes Aufnahmeorgan sich hermetisch gegen Anregung verschliessen. Die berechenbaren Schockmomente klatschen sich schmierig auf die Oberfläche von Themen, die es verdient hätten, in aller Tiefe behandelt zu werden. So erlahmt das Stück jeden Willen zum Verständnis und statt Reaktion erzeugt es Ignoranz.

Da hilft auch die irgendwie äusserst grossartige Erkenntnis der Schlussszene im besten Willen nichts mehr: Lucy, in Schande geschwängert und ausgeraubt, möchte sich in den Schutz ihres Nachbarn begeben. Dass er ein guter Freund ihrer Vergewaltiger ist, macht ihr nichts aus und auch das Kind will sie behalten. Denn in diesem Zustand, völlig würdelos wie ein Hund, könne sie wieder von vorne beginnen. Können sich die richtigen Machtverhältnisse wieder einrenken. Kann das Trauma überwunden werden. – Ach, wenn die Welt bloss so einfach wäre.

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