Ausharren unterm Beobachtungsglas im utopischen Sumpf

Die Veranstaltung
Was: Swamp Club – Philippe Quesne & Vivarium Studio
Wo: Theater Spektakel, Werft
Wann: 15.08.2013 bis 17.08.2013
Bereich: Theater Spektakel 2013
Theater Spektakel
Kulturkritik ist Partner des Theater Spektakels 2013. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Carmen Beyer: geboren 1986 in Berlin-Brandenburg, derzeit Studentin im Masterstudiengang «Kulturpublizistik» an der Zürcher Hochschule der Künste.
Die Kritik
Lektorat: Antonia Steger.
Von Carmen Beyer, 18.8.2013
Ein haushoher Glaspavillon, umgeben von bepflanzten Teichpfützen, ausgestopftem Getier und einem Grotteneinstieg, aus dem wabernde Nebelschwaden dringen: Mitten im sumpfigen Nirgendwo haben sich sechs Aussteiger und ein Streichquartett gegen die Aussenwelt verschanzt, um ihren eigenen utopischen Ort der absoluten kreativen Freiheit zu gründen. Betont langsam und wortkarg gehen sie schwimmen, saunieren, halten Konzerte ab und lesen Gedichte, während auf einer elektronischen Anzeige das Tagesprogramm in gelben Lettern endlos seine Runden dreht. Willkommen im «Swamp Club»! Willkommen in der Utopie des gelebten Müssiggangs.
Das Prinzip der Langsamkeit
In der Tat mutet an dem Stück, das Philippe Quesne und sein Vivarium Studio auf die Bühne bringen, vieles wie ein utopisches Märchen an. Der französische Regisseur erschafft einen Woanders-Ort, der mit seinen skurrilen Ausstattungsdetails und Figuren ein bisschen an schaurig-schöne Sciencefiction in Zeitlupe erinnert: Vereinzelt zischt Bühnennebel in den Glaskubus, woanders plätschert Wasser aus einem Rohr in die Moorpfützen, während der Sumpf abwechselnd in grüner, weisser und roter Beleuchtung schimmert. Da wundert es dann auch nicht, wenn sich ein überdimensionierter Maulwurf aus der Grotte schleppt und erschöpft vor den Füssen der Bewohner zusammen bricht. Diese erkennen darin die Zeichen unbekannter Gefahr und beginnen, sich zur Verteidigung ihres Kulturzentrums zu rüsten…
Bis es allerdings zu diesem Zwischenfall kommt, müssen die Zuschauer geduldig bleiben, denn erst nach gut 60 Minuten beginnt die Handlung auf der Bühne einem scheinbar dramatischen Höhepunkt entgegen zu streben. Aber auch das tut sie in einer Gemächlichkeit, die der störrischen Ruhe der Campbewohner angesichts drohender Gefahr gleicht: In gutmütiger Naivität packen sie bedächtig die Flora und ausgestopfte Fauna in den gläsernen Pavillon, greifen ungelenk zu hölzernen Stöcken und zünden harmlose Feuerwerkskörper, bevor sie unter Subbassklängen in die Grotte ziehen, um bei Drinks und Dinner auf das, was kommen mag, zu harren.
Die Bühne als Beobachtungsbehälter
Doch der Eindruck, der Theaterabend versumpfe in Langeweile, täuscht. Denn das Theater von Quesne und dem Vivarium Studio lebt von solchen stillen Momenten der Beobachtung und vermeintlichen Handlungsarmut. Kein multimediales Feuerwerk, keine Tanz-, Gesangs- oder Sprachakrobatik überflutet die Bühne, kein dramaturgischer Spannungsbogen wächst rapide zum Klimax. Stattdessen entsteht eine Abfolge kleiner, (fast) alltäglicher Situationen, die das Publikum mit beinahe kindlichem Interesse von ausserhalb der Bühne beobachtet – als sässe es vor einem Vivarium, dem Behälter für lebende Tiere. Belohnt wird diese Neugierde mit feinsinniger Komik und leiser Intelligenz, die sich aus den skurrilen Übertreibungen und den spärlichen Dialogen entwickeln: Wenn vor Goldklumpen in Bowlingkugelgrösse fürs Foto posiert wird oder wenn ein Banner statt mit «Center» Besitzansprüche zu verteidigen als «enter» zur Invasion einlädt.
Plädoyer für das Scheitern
Es ist diese Mischung aus feinsinnigem Humor und präziser, geduldiger Beobachtung, welche die Künstlergruppe um Quesne bereits in früheren Produktionen erfolgreich auf die Bühne brachte: So erzählt beispielsweise «La Mélancolie des Dragons» (EA: 2008) die wunderbar absurde Situation von sechs Heavy Metal Fans, die – durch eine Autopanne in die winterlicher Nacht verschlagen – versuchen, ihre eigene Version eines Disney Themenparks zu entwerfen. Mit einfachen Mitteln und wenigen Worten wird auch in diesem Stück unser vergebliches Bemühen, die Welt, die Kunst und die Natur zu verstehen, entlarvt. Was sich offenbart, ist eine Überforderung des Menschen, der die erdrückenden Probleme der Gesellschaft zwar erkennt, ihnen aber nur in seinem Scheitern beizukommen scheint.
Quesne entwirft damit ein Theater, das auf erfrischende Art ohne den grossen Zeigefinger und multimediales Spektakel auskommt; das uns und unseren Sinnen für einige Zeit erlaubt, der erlahmenden Überreizung zu entfliehen – um sich dem scheinbaren Nichtstun und Scheitern hinzugeben.