Warum Beamte und Milieu nicht dieselbe Sprache sprechen

Die Veranstaltung
Was: Striche durch Rechnungen. Installative Dramatisierung zur stadträumlichen Verlagerung der Sexarbeit
Wo: Les Complices
Wann: 28.08.2013 bis 11.09.2013
Bereiche: Performance, Theater
Die Autorin
Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.
Die Kritik
Lektorat: Patricia Schmidt.
Von Fabienne Schmuki, 30.8.2013
Das Puff erreicht man durch den Hintereingang. Ein paar Stufen, schon steht man in der Küche, die in den Salon führt. Draussen ist Apérozeit. Sich in euphorischer Übereinstimmung Zuprostende verursachen dezente Glockenklänge. Im Puff ist der Teppichboden pink und die Stimmung gedämpft. Klebstreifen am Boden lassen eine Art Raumaufteilung erahnen, ansonsten ist die Einrichtung spartanisch: Zwei Matratzen, dunkle Vorhänge, ein Flachbildschirm, zwei Spiegel an Ketten, zwei Aktivlautsprecher. Daraus ertönt eine Männerstimme. Wir sind in einem Puff an der Anwandstrasse im Zürcher Kreis Vier und hören einer Stimme zu, die körperlos ist, aber über Körper spricht.
Sextexte
Natürlich ist das Puff kein Puff, sondern Les Complices: Ein Ort, der auf wenig Platz sehr viel Platz für alle möglichen Künste schafft. Striche durch Rechnungen – Zur stadträumlichen Verlagerung von Sexarbeit in Zürich ist eine installative Dramatisierung des Autors und Theaterregisseurs Tim Zulauf. In der rund vierstündigen Performance/Installation widmet sich Zulauf der PGVO, der Prostitutionsgewerbeverordnung, die am 1. Januar 2013 in Kraft getreten ist. «Zur Ausübung der Strassenprostitution wie auch zum Betrieb eines Bordells» brauche Frau neu, so steht es auf der Website der Stadt Zürich geschrieben, eine Bewilligung.
Striche durch Rechnungen nähert sich der natürlichen Diskrepanz zwischen Beamtentum und Milieu mit Witz und Intellekt. Andreas Storm, welcher der Stimme aus den Aktivlautsprechern später imposante Gestalt verleihen wird, schlüpft mal in die Rolle des Sittenpolizisten, mal in diejenige der Sexarbeiterin Evelyn. Dabei redet er sehr überlegt und gepflegt. Er baut ganze Luftschlösser aus leeren Worthülsen, türmt dabei Sexarbeiterinnen auf Verrichtungsboxen, lässt Anschaffende prosaisch mit Kulturschaffenden kopulieren und Anwohner auf grenzübergreifende «Exoten!» mit Abgrenzung reagieren.
Das alles geschieht im Text gewaltfrei und harmlos. «Verdrängung in Verrichtungsboxen am Stadtrand» wird in der Beamtensprache zur «stadträumlichen Verlagerung von Sexarbeit»; bei Andreas Storm wird Sex zu einem Wort in einem Verwaltungskorsett, das ihn nichts so sehr fürchten lässt wie die Grenzen, die er für gewöhnlich so genüsslich auslotet.
Ausloten von Grenzen und Räumen
Immer mehr Männer und Frauen pferchen sich in den Salon, der wandelbar ist, wie Andreas Storm selber. Erst Wohnzimmer dann Vereinstreff, werden die Spiegel von den Ketten gelöst und zu Stellwänden, die Städtepläne tragen und Verordnungen der Stadt Zürich. Das Licht ist erst noch weiss, später dann purpur und im Rotlicht wird Evelyn immer mutiger. Sie (Andreas Storm) geht hinaus auf die Anwandstrasse, spricht vor verdutzten Passanten über den Strassenstrich und klärt ein Paar im langsam vorbeifahrenden Wagen darüber auf, dass auch ein Auto eine Box ist, in der man Sex haben könn(t)e.
Später wird Evelyn die schwarzen Vorhänge vor den Schaufenstern durch rosafarbene eintauschen und uns dabei beobachten, wie wir ihr und Christoph Rath auf dem Flachbildschirm zusehen. Die beiden unterhalten sich über vermeintliche Sicherheit – denn: Ist Prostitution nicht etwa sicherer, wenn sie sich vor unser aller Augen abspielt, mitten in der städtischen Nachbarschaft, als am Stadtrand zwischen leeren Bürokomplexen und ausladenden Asylunterkünften? Dies ist bloss eine der Fragen, die Tim Zulauf in seiner installativen Dramatisierung in die Köpfe seines Publikums pflanzt. Als man das Puff durch den Hinterausgang verlässt, ist einem klar, warum sich Milieu und Beamte nicht verstehen: Weil sie nicht dieselbe Sprache sprechen.