Grausam ist der Mensch – kalt ist die Welt

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Prisoners
Wo: Zurich Film Festival, Corso 1
Wann: 02.10.2013
Bereiche: Film+Fotografie, Zurich Film Festival 2013

Zurich Film Festival

Kulturkritik ist am Zurich Film Festival 2013. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Der Autor

Dave Schneider: Nach Aufenthalten in Deutschland, den USA und Genf lebt und arbeitet Dave Schneider seit 2005 in Zürich. Sein Studium in Filmwissenschaft, Soziologie und Publizistik schloss er im Jahr 2013 ab und ist seitdem Filmredakteur und Schreiberling für verschiedene Schweizer Medien.

Die Kritik

Lektorat: Tilman Hoffer.

Von Dave Schneider, 25.10.2013

Der Lockvogel ist Hugh Jackman. Der Hollywood-Beau ist bekannt für seine meist glattgebügelten Mainstream-Filme. Das Versprechen, zusehen zu dürfen, wie er in einem harten Drama seine Schauspielkünste auspackt, ist wahrlich eine Verlockung für Kinogänger. Dazu kommt  Jake Gyllenhaal, der mit seiner linkischen Art bereits so einigen Filmen zu finanziellem und künstlerischen Erfolg verholfen hat. Neugierig steckt der Zuschauer also seine Nase in den Film – und prompt wird sie ihm abgeschnitten.

Prisoners beginnt mit einem Thanksgiving-Fest, das zwei Familien in nasskalt-ländlichem Kleinstadtambiente gemeinsam feiern. Als plötzlich die zwei kleinen Töchter der Familien verschwinden ist die Panik gross. Ein Wohnwagen wurde in der Nähe gesehen und der zu Hilfe gerufene Polizist (Jake Gyllenhaal) stellt den Fahrer: einen geistig zurückgebliebenen jungen Mann, den man aus Mangel an Beweisen schon bald wieder laufen lassen muss. Einer der Familienväter (Hugh Jackman), definiert sich über die vermeintliche Fähigkeit, sein Schicksal jeder Katastrophe zum Trotz selbst in die Hand zu nehmen. Er glaubt an die Schuld des Verdächtigen und entführt darum den jungen Mann, um durch Folter herauszufinden, wo die Mädchen stecken. Derweil müht sich der Polizist mit ordentlichen Ermittlungen ab.

Kein Pardon

So weit, so déjà vu. Die schauspielerische Leistung der Hauptdarsteller ist hervorragend, auch wenn sie gelegentlich die Grenze zum overacting überschreiten. Die Inszenierung von Regisseur Denis Villeneuve ist dicht, stimmungsvoll und spannungsreich. Doch wirklich brillieren kann der bisher unbekannte Drehbuchschreiber Aaron Guzikowski: die Welt (sehr regnerisch und knapp über dem Gefrierpunkt), in der seine Figuren hoffen, leiden und quälen, kennt kein Pardon. Immer wieder hört man, wie der verzweifelte Vater Gott vergeblich um Hilfe und Erbarmen anfleht. Auch Medikamente oder Zwischenmenschlichkeit können die machtlose Trauer und Wut der Familien nicht lindern. Nur die Tat, die proaktive Grausamkeit, scheint emotionale Abhilfe zu schaffen und führt doch nur weiter ins Verderben. Gyllenhaals Polizist, der auf den bedeutungsvollen Namen Detective Loki hört, stürzt sich zwar manisch auf den Fall, aber auch jeder seiner Schritte führt ihn immer tiefer in den Abgrund menschlicher Grausamkeit. Immer verzweifelter werden die Figuren – indifferent und unwirtlich bleibt die Welt, die sie umgibt.

Für den Zuschauer kennt Prisoners kaum Pardon. Es ist hart in diese Welt zu blicken. Während im Kinosaal immer wieder ein gequältes Aufstöhnen zu hören ist, sitzt der Kinokonsument nun in den Resten der eigenen Neugier. Die emotionale Wucht des spannenden Thrillers verschluckt die berühmten Schauspieler ebenso wie die altbekannte Ausgangslage. Diese zweieinhalb Stunden Erbarmungslosigkeit  werden ein empfindsames Gemüt zerrütten. Doch für Hartgesottene lohnt sich die Rosskur: Wer Nerven für heisse Grausamkeit und kalte Härte hat, erfährt beinahe kafkaeske Katharsis. Selten ist Hollywood so rigoros und unverblümt hoffnungslos.

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