Ein kurzer, heftiger Flirt

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Prinz Privileg / Hamlet
Wo: Theater der Künste, Zeughaus 3
Wann: 23.01.2013
Bereich: Theater

Die Autorin

Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.

Die Kritik

Lektorat: Patricia Schmidt.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).

Von Fabienne Schmuki, 24.1.2013

Obschon Christopher Krieses Prinz Hamlet ein «weisses, reiches, heterosexuelles Arschloch» verkörpert, dreht sich die Welt für einmal nicht um Hamlet. Sondern Hamlet dreht sich in einer zur Scheibe zurückentwickelten Welt, um welche herum die Zuschauer sitzen. Argwöhnisch, den Blick gezwungenermassen unter die Röcke der beiden Ophelias werfend, ist das Publikum gleichzeitig Hamlets Verbündeter, Hamlets Tribunal, Hamlets Geliebte und Hamlet selbst.

Kraftausdrücke und kraftvolles Schauspiel

Diese Welt ist die Bühne im Theater der Künste im Zeughaushof und sie ist flach, rund und knallgelb. Vier Pfosten in allen Himmelsrichtungen bieten ein geringes Mass an Orientierung, mehr Hilfeleistung kriegt das Publikum kaum. Die drei Schauspieler und zwei Schauspielerinnen liefern sich verbale Kämpfe, Wort-Duelle; zeitliche Abfolge oder Handlung sucht das Publikum vergebens. Das wirre, bisweilen verwirrende Spiel um Identitäten gelingt dem Regisseur Kriese, der mit Prinz Privileg / Hamlet seine Master-Produktion präsentiert, zweifelsohne. Und verliert sich der Zuschauer auf der Suche nach dem Sinn dieser Inszenierung, holt ihn das grobe Vokabular augenblicklich wieder an den Bühnenrand zurück. «Egozentrisches Arschloch», «verfluchter Bastard», «Fotze» – wirkungsvoll und zahlreich sind die Kraftausdrücke allemal.

Doch dann ist da dieses beeindruckende Quintett, das schwitzt und schreit und flüstert und liebt und küsst und flirtet, ja, immer wieder flirtet. Das Publikum wird in das intrigante Spiel, das Prinz Hamlet und Ophelia miteinander treiben, miteinbezogen – noch viel mehr, es wird Teil dieses wahnwitzigen Schauspiels, das sich um die grossen Themen des Lebens und der Vergänglichkeit dreht. Wenn es Krieses Absicht war, dieses Stück wie einen kurzen, heftigen Flirt auf einen wirken zu lassen, der einen schwindlig macht und dessen Sinn man erst dann sucht, wenn man am Ende etwas ratlos aber randvoll mit frischem Selbstvertrauen dasteht, dann ist ihm der Versuch gelungen.

Irreführendes Verwirrspiel

Noch während man sich wundert, welche Absicht Kriese mit diesem Sprechtheater verfolgt, mausert sich Hamlet zum Schürzenjäger. Er bezirzt die beiden Ophelias gleichermassen wie sein Publikum. Er strotzt vor Selbstbewusstsein und händigt kurzerhand einer jungen Schönheit aus dem Publikum seine Telefonnummer aus. Hamlet spricht sachlich von der Liebe, die es als «tiefe, innere Liebe» gar nicht gäbe; das letzte Stück Romantik, das der Liebe ebenso hartnäckig anhaftet wie die Klette ihrem Verführer, verfliegt in dem Moment, in welchem Kriese seine Theatergruppe alles auflösen lässt: «Mach kein Theater», kriegt Hamlet zu hören. Spätestens jetzt wird dem Publikum klar: Es ist dem attraktiven Prinzen mit dem eindringlichen Blick, diesem egozentrischen Arschloch, auf den Leim gegangen. In Hamlet’s Augen ist die Liebe bloss ein grosses Theater.

Das Stück dauert rund sechzig Minuten und das ist gut so. Über diese kurze Dauer mag der Regisseur die Spannung in dem wortlastigen Stück, das stark performativen Charakter aufweist, aufrechterhalten. Man verdankt es Kriese, dass er seine Figuren kein «Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage» herunterbeten lässt, sondern dass er Hamlet eine eigene Sprache gibt, auch wenn es eine derbe ist. Aber Kriese hätte gut daran getan, dem Publikum ein wenig mehr Orientierung zu bieten, sei es auf der Bühne oder im Pressetext. «Ein sinnlicher Abstecher in die wunderbare Welt des Genusses» steht in diesem geschrieben. Krieses Irreführen beginnt also bereits hier: Was nach einem Werbeslogan für die Globus delicatessa klingt, sollte eher lauten: «Ein unsinniger Abstecher in die ungeniessbare Welt der Liebe.» Dann wüsste das Publikum eher, was es erwartet.

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