Legends, undressed

Die Veranstaltung
Was: Legends & Rumors
Wo: Gessnerallee Zürich
Wann: 14.05.2013 bis 22.05.2013
Bereiche: Literatur, Theater
Die Autorin
Fabienne Schmuki: Jahrgang 1983. Absolventin des Masterstudiengangs Kulturvermittlung, «publizieren & vermitteln» an der ZHdK. Co-Geschäftsführung eines Schweizer Independent Musikvertriebs; Promotion & Kommunikation. Freelancerin für diverse Print-/Onlinemedien.
Die Kritik
Lektorat: Anja Wegmann.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben vom Migros-Kulturprozent (siehe Unabhängigkeit).
Von Fabienne Schmuki, 15.5.2013
Zwei Männer und eine Frau bei der Rekonstruktion eines Augenblicks, der weder Anfang noch Ende hat. Legends & Rumours karikiert einen Moment im Leben dreier Menschen, die, vielleicht aus Zufall, zu einem unbestimmten Zeitpunkt in einer banalen Situation aufeinandertreffen und interagieren.
Phil Hayes’ Stück feierte gestern Abend Premiere im Theaterhaus Gessnerallee. Der Schauspieler und Regisseur aus England, seit 1998 in Zürich wohnhaft, fragt sich, so steht es im Pressedossier, «wie Momente zu Geschichten werden und wie Geschichten zu Legenden». Ja, wie fühlt es sich an, wenn eine Legende als die banale Geschichte dargestellt wird, die sie im Grunde ist? Wie sieht die Legende eigentlich drunter aus?
The devil is in the details
Während neunzig Minuten konzentrieren sich Schauspieler Phil Hayes, Schauspielerin Maria Jerez und Performer Thomas Kasebacher auf Details. Die drei befinden sich in einer mit sieben Stellwänden angedeuteten Wohnung, die mit Bett, Sofa, Teppich, Tisch, Stereoanlage, Zimmerpflanze und Büchergestell ordentlich ausgestattet ist. Phil, Maria und Thomas wollen einen Vorfall nachstellen oder einen Zwischenfall nachspielen – man weiss es nicht so genau. In dieser Rekonstruktion eines Moments ist die Gegenwart für einmal nicht Reinkarnation der erinnerten Vergangenheit, die Gegenwart wird vielmehr von der Erinnerung dekonstruiert.
Die Perspektive gibt in Legends & Rumours die Richtung an. Je nachdem, welcher der drei Protagonisten den Lead übernimmt, fällt das Nachstellen des Moments anders aus. Thomas erinnert sich daran, dass die Musik im Wohnzimmer «laut und pumpend» gewesen sei, Phil ist später der Meinung, die Musik sei «softer» gewesen. Mal soll es zappenduster gewesen sein, und draussen hat’s geregnet. Ob bei Tageslicht oder in der Nacht: Worum es in der nachgestellten Szene wirklich geht, diesbezüglich lassen die drei ihr Publikum im Dunkeln tappen.
Maria streicht sich die Locken aus dem Gesicht. Thomas ist offenbar genervt. Er kickt mehrmals gegen den dreibeinigen Hocker, mit dem er kurz darauf Phil attackiert. Phil wird das irgendwann zu bunt: Er lässt Maria leichtbekleidet und Thomas leicht verdutzt sprichwörtlich im Regen stehen.
Die Architektur eines Augenblicks
Die Produktion Legends & Rumours ist eine Koproduktion diverser Theater sowie der Förderplattform des Migros-Kulturprozent Prairie. Dieses Fördermodell bietet Theaterprojekten bessere Produktionsbedingungen und kurbelt Netzwerke an, um eine möglichst starke Verbreitung dieser Projekte zu generieren. So finden also Phil Hayes aus Zürich, Maria Jerez aus Mexiko und Thomas Kasebacher aus Wien zusammen. In englischer Sprache diskutieren sie zu dritt nicht so sehr über die Umstände ihres Zusammentreffens, sondern viel eher über ihre erinnerte Wahrnehmung davon.
Das akribische Nachstellen dieses vielleicht legendären Moments braucht etwas Nerven. Immer wieder beginnt das Trio von vorne, weil sich die Geschichte gleichzeitig zu ihrer Rekonstruktion auch dekonstruiert. Die Architektur eines Moments erweist sich als Geduldsprobe, auch wenn die Situationskomik immer wieder für Auflockerung sorgt. Phil Hayes trockener, ur-typisch englischer Humor ist hier sehr willkommen.
Neunzig Minuten Legends & Rumours lassen Räume entstehen und Legenden entmystifizieren. Diese Geschichte hat in der Wahrnehmung jedes Zuschauers einen eigenen Rhythmus, eine eigene Schärfe. Vielleicht sind Banalitäten dazu da, mit Bedeutung aufgeladen zu werden, oder: Erst im richtigen Kleid wird eine Geschichte zur Legende.