Menschliche Mechanik

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Lebensraum – Jakop Ahlbom & Alamo Race Track
Wo: Theater Spektakel, Nord
Wann: 23.08.2013 bis 25.08.2013
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2013

Theater Spektakel

Kulturkritik ist Partner des Theater Spektakels 2013. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Tabea Buri: Ethnologin, Jahrgang 1987

Die Kritik

Lektorat: Robert Salzer.

Von Tabea Buri, 27.8.2013

Zwei Männer leben gemeinsam in einem einzigen Zimmer. Um sich in dem engen Raum zurechtzufinden, haben sie sich möglichst praktisch eingerichtet: Das Bett wird ein Klavier wird ein Operationstisch; das Bücherregal erweist sich als Kühlschrank und das Bild an der Wand kann gleichzeitig Ausgang sein. Salz und Pfeffer hängen an Seilen über dem Tisch, ebenso Essig und Öl, und wer sein Essen würzen will, zieht die Utensilien ganz einfach aus der Luft herunter.

Keaton und Ahlbom

Bustor Keaton hätte sich gefreut, denn diese Szene ist ein exaktes Zitat aus seinem Film „The Scarecrow“. Keatons Arbeiten markierten in den 1920er Jahren einen Höhepunkt des Slapsticks, in denen sich Situationskomik mit Akrobatik mischen. Dieser Stil entspricht der Arbeitsweise des schwedischen Theatermachers Jakop Ahlbom, dessen Werk sich durch die Verbindung unterschiedlicher Performance-Disziplinen auszeichnet. Gemeinsam mit seinem Partner Reinier Schimmel bewegt er sich in seinem Stück „Lebensraum“ mit präzisen, geschickt ungeschickten Bewegungen auf der Theaterbühne: Beim Stolpern schlagen sie Saltos, ihr Streiten gleicht einem Tanz und jeder eingebaute Sturz führt zur nächsten übertriebenen Bewegung. Dazwischen finden sich kleine poetische Szenen, die das Publikum neben lachen und staunen auch still lächeln lassen. Der Grossteil der Geschichte wird von ihre Mimik erzählt, denn wie es sich für eine Hommage an einen Stummfilm gehört, wird kein Wort gesprochen. Begleitet wird das Treiben dafür live vom Musiker-Duo Alamo Race Track.

Eine mechanische Haushaltshilfe

Ahlbom begnügt sich aber nicht mit einer simplen live-Version des Stummfilms, sondern spinnt die Geschichte der beiden Männer auf eigene Weise weiter: Die zwei wollen mehr als die Konstruktionen, die ihnen wie bei Keaton den Alltag erleichtern. Sie wollen eine Frau, die ihnen den ganzen Haushalt abnimmt! Dazu basteln sie sich eine automatische Puppe, der sie das Putzen, Servieren und Aufräumen beibringen wollen. Doch was dabei herauskommt, ist eine eigenwillige Figur, die bald unbeweglich und unfähig scheint, bald selbständig und eigenwillig zu agieren beginnt. Sie macht alles falsch, steht überall im Weg und bringt das wohl organisierte Leben der beiden Männer durcheinander. Die ruppigen, mechanischen Bewegungen und das ewig ausdrucksloses Lächeln kennzeichnen sie deutlich als mechanisches Wesen. Gleichzeitig durchbrechen ihr rostroter Haarschopf und ihr gelbes Kleid die schwarz-weisse Kulisse und mit ihrem frischen Teint wirkt sie fast menschlicher als ihre bleichen Erschaffer – die Grenzen zwischen dem Menschlichen und dem Mechanischen beginnen sich aufzulösen.

Wie Rädchen im Triebwerk

Die beiden Männer reagieren unterschiedlich auf die dritte Gestalt, mit der sie sich nun ihren Lebensraum teilen. Während der eine sich in ihre menschlichen Züge verliebt und sie als Person wahrnimmt, will der andere nur die Maschine in ihr sehen. In komischer Akrobatik ringt er mit ihr, versucht sie zum Stillsitzen zu zwingen und Herr über sie zu werden. Mit atemberaubender Körperspannung lässt sich Silke Hundertmark in der Rolle der Puppe biegen und strecken, rollen und werfen, und entschlüpft doch immer wieder den Griffen der beiden Männern, um das Chaos weiterzutreiben. Wie Zahnrädchen in einem Triebwerk schnellen die drei perfekt koordiniert über und nebeneinander durch den Raum und fast automatisch löst eine Bewegung die andere ab.  Wenngleich daraus die Komik des Abends entsteht, liegt darin auch der Wermutstropfen des Stücks: Es fehlt an der Spontaneität und der Unmittelbarkeit, die den Reiz des Theaters gegenüber dem Stummfilm ausmachen. Damit drängt sich die Frage auf, welchen Mehrwert das Nachspielen eines Filme-Genres für das Theaterpublikum bringt. Die fast zirzensischen Bewegungsabläufe auf der Bühne sind zwar unterhaltsam, doch die Darsteller selbst fallen zu sehr ins Mechanische, als dass die Spannung einer live-Vorführung erhalten bleiben könnte. Die Grenze zwischen dem Menschlichen und dem Mechanischen verblasst somit nicht nur in der erzählten Geschichte, sondern ebenfalls in der Umsetzung.

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