Ode an das Handwerk

Die Veranstaltung
Was: Laaroussa – Selma & Sofiane Ouissi
Wo: Theater Spektakel, Landiwiese Nord
Wann: 27.08.2013 bis 28.08.2013
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2013
Theater Spektakel
Kulturkritik ist Partner des Theater Spektakels 2013. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Tabea Buri: Ethnologin, Jahrgang 1987
Die Kritik
Lektorat: Antonia Steger.
Von Tabea Buri, 2.9.2013
Politische Performance muss nicht laut sein. Das zeigen die tunesischen Geschwister Selma und Sofiane Ouissi, zwei bedeutende Figuren der zeitgenössischen arabischen Tanzwelt. Ins Zentrum ihrer Performance «Laaroussa» stellen sie nicht sich selbst, sondern eine Gruppe älterer Frauen: Es sind Töpferinnen aus einer Werkstatt im tunesischen Sejnane, der angesichts neuer Plastikwaren und zunehmender Konkurrenz der Niedergang droht. Die Grundlage für die Choreografie ist das verkörperte Wissen dieser Frauen, das mit dem Verschwinden der Töpferei verloren geht.
Die Ästhetik der Kunstfertigkeit
Das Tänzer- und Choreografen-Paar hat sich dem Können der Frauen in zweijähriger Arbeit angenähert, um die Bewegungen erst zu imitieren, dann zu verinnerlichen und schliesslich in eine ästhetisierte Tanz-Sprache zu übersetzen. Im Sitzen ahmen ihre Hände die Arbeit der Töpferinnen nach: Sie greifen nach der abwesenden Tonerde, ziehen sie zurecht, spannen das Material über das Handgelenk und formen einen imaginären Klumpen. Die Abläufe repetieren sich, aber die Spannung bleibt erhalten. Die beleuchteten Hände werden konzentriert durch die Luft geworfen, mit heftigen Bewegungen wird gezogen, geschlagen und geknetet, mit feinen Gesten modellieren sie Kanten und Hohlräume. Abstrahiert durch das Fehlen der Tonerde und das Ausbleiben eines fassbaren Endprodukts wird Arbeit und Körper, nicht etwa Profit und Effizienz in den Fokus gestellt. Es ist eine Ode an das Handwerk, das kunstvolle Werk der Hände. Meist verdeckt im Schatten ihres Produkts, wird hier die Ästhetik der Kunstfertigkeit beleuchtet und entpuppt sich als wunderbare Inspirationsquelle zeitgenössischer Choreografie.
Kollegiale Zusammenarbeit
Die Performance ist nicht nur politisch in ihrer Forderung nach der Beachtung des Wissens, das durch die zunehmende Ökonomisierung des Handwerks zu verschwinden droht. Als einzelner Akt des grösseren, gleichnamigen Projekts «Laaroussa» ist sie gleichzeitig auch ein Beispiel für eine kollegiale Zusammenarbeit privilegierter Kulturschaffender Europas mit Kollegen im arabischen Raum: Das interdisziplinäre französische Künstlerkollektiv «L’Art Rue» arbeitet seit 2010 mit Handwerkerinnen in Sejnane, um in verschiedenen Ansätzen den künstlerischen Dialog und die soziale Entwicklung zu unterstützen.
Die Performance der beiden Künstler bleibt denn auch nie abgetrennt von ihrem Kontext in Tunesien: Im Hintergrund der schlichten Choreografie zeigt die Videoprojektion immer wieder die buntgekleideten Tunesierinnen, die Meisterinnen des Handwerks. Da es sich nicht um eine simple Glorifizierung des Traditionellen handelt, werden sie nicht nur beim Arbeiten gezeigt, sondern ebenfalls in die Performance einbezogen: In rührender Weise tasten sie sich gegenseitig die gegerbten Gesichter ab. Ihre geübten Finger arbeiten sich über Wangen, Stirnfalten und Nasenflügel ihres Gegenübers, wie wenn sie deren Züge aus Ton modellieren würden. Dabei wird einerseits das Fingerspitzengefühl der Töpferinnen deutlich und andererseits treten die Frauen mit individuellen Gesichtsausdrücken auf. Als Individuen verleihen sie dem Tunesien, das in den Medien als Schauplatz politischer Wirren an Profil verliert, Persönlichkeit.
Subtile Kontraste
Trotz der Abstraktion und der Schlichtheit des Programms bleibt bis zum Schluss eine poetische Spannung bestehen. Die wechselnden Film-Projektionen zeigen – etwa durch farbintensive Makroaufnahmen – subtil Kontraste zur live-Performance im Vordergrund und die Gesten des Tänzer-Paars werden durch die Klangkulissen in jeweils unterschiedliche Zusammenhänge gesetzt: Wird klassische Musik gespielt, steht das Künstlerisch-Choreografische im Fokus; erklingt das schmatzende Geräusch des feuchten Tons, wird an die Inspirationsquelle der Bewegungen erinnert.
Dem Künstler-Duo gelingt es dank stilsicherem Umgang mit der zeitgenössischen Tanzspraches, ihr künstlerisches Schaffen mit einer gesellschaftlichen Verantwortung zu verbinden, ohne in eine kitschige oder moralisierende Darstellung zu kippen.