La Gondola – Ein Erlebnisbericht mit Donna Leon und Geschichten über ein ganz besonderes Boot

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: La Gondola – Geschichten und Lieder über das schönste Boot der Welt mit Donna Leon und dem Ensemble
Wo: The Dolder Grand, Ballsaal
Wann: 27.10.2013
Bereich: Zürich liest 2013

Zürich liest

Kulturkritik ist am Buchfestival Zürich liest. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Nadine Burri: Jahrgang 1981, studierte Germanistik und schreibt an einer Dissertation zu alter Geschichte und Literatur, Redaktionsmitglied des Elfenbeintürmers (Historikermagazin der Universität Zürich)

Die Kritik

Lektorat: Stephanie Rebonati.

Von Nadine Burri, 28.10.2013

Nach 35 Jahren in Venedig und Gondeln, wohin man blickt, entschied sich die Krimi-Autorin Donna Leon für ein Forschungsprojekt zur Ikone dieser Stadt. Es entstand ein kleines Buch, das in Worten, Bildern und Tönen das venezianische Leben rund um die Gondola schildert: ihre traditionsreiche kunstvolle Machart, die Anforderungen an einen Gondolieri, Modeerscheinungen sowie musikalische Erfindungen. Aus diesem Projekt ist eine rege Zusammenarbeit mit dem Orchester «Il Pomo d‘Oro» – der goldene Apfel, nicht der Pizzabelag, wie Donna Leon ironisch bemerkt – hervorgegangen. Das Ensemble setzt sich aus internationalen Musikern zusammen, die von Donna Leon mäzenatische Unterstützung erhalten. Ihren teilweise historischen Instrumenten entlocken sie klassisch-barocke Klänge, begleitet von Vincenzo Capezzutos klarem Gesang.

«La Gente del Popolo»

Der elegante Ballsaal des pompösen The Dolder Grand ist Schauplatz für die Schweizer Premiere von Donna Leons neuem Buch. Und der Saal hält, was er verspricht: prunkvolle Eleganz, edles Interieur und einen Milchkaffe für vornehme sieben Franken! Das meist ältere Publikum gibt sich nobel, wie in diesem Ambiente erwartet. Mit legerer Umhängetasche und ‹tintenversehenen› Armen erschaffe ich einen unerwarteten Kontrast, wie mir neugierig-kritische Blicke mitteilen. Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.

«Kontrast» scheint das Thema des Anlasses zu sein. Im Venedig des 17. und 18. Jahrhunderts waren Opern beim gebildeten Publikum äusserst beliebt. Sie erzählten von Helden der Weltgeschichte, atemberaubend schönen Prinzessinnen und feuerspeienden Drachen. Eine Welt, die dem gewöhnlichen Volk nicht ferner hätte sein können. Aus dem Wunsch nach etwas Alltagsnahem entstand auf den Decks der schlanken Boote eine neue Form musikalischer Unterhaltung: die venezianischen barcarole, Gondellieder aus dem Volk, für das Volk. Mit ironischem Humor und herrlich natürlich erzählt die kleine schlanke Amerikanerin mit grosser Leidenschaft von der Entstehung dieser Lieder – auch hier ganz im Kontrast zum eher steifen Publikum. Singende Gondolieri und ein paar Musikanten trugen die Lieder, deren Texte von Liebe, Spass und Leidenschaft sprechen, über die Kanäle. Jeder Passant hatte die Möglichkeit, den Klängen gratis zu lauschen, mitzusingen oder gar Kommentare und Klagen an die Musiker zu tragen. Diese waren die Einzigen, die kostenlos die Oper besuchen durften. Dort holten sie sich ungeniert ihre Inspiration und trugen die gehörten Melodien mit ihren eignen Texten unters Volk. Quasi der erste «Free-Download» und der Beginn der «copyright violation», wie Donna Leon salopp bemerkt. Ganz im Gegenteil zu heute, schätzten die damaligen Künstler diesen ‹Datenraub› in der Hoffnung, die eingängigen Lieder würden noch mehr Publikum in die Oper locken, um die Originaltexte zu hören.

Zwischen die Lesungen werden jeweils drei barcarole gestreut, die von Vincenzo Capezzuto, verkleidet als Gondolieri, virtuos vorgetragen werden. Eine Mischung aus Konzert und Schauspiel, das man sich lebhaft in einem venezianischen Canale vorstellen könnte. Von der Akustik in dem Saal mit gewölbter Decke sind selbst die Musiker angetan. Die musikalischen Einlagen sind Streicheleinheiten für die Ohren.

«Ships from Hell»

Die Veranstaltung wird aber nicht nur von Witz, Gesang und Gelächter dominiert, Donna Leon schlägt auch ernste Töne an. Ihr Kapitel «Höllenschiffe» setzt sich mit der Bedrohung von Stadt und Menschen durch die satanischen Kreuzfahrtschiffe auseinander. Sie versucht ihre Wut über die zerstörerische Kraft und die Luftverschmutzung dieser Blechriesen hinter sarkastischen Kommentaren zu verbergen, doch die Botschaft bleibt. Die Autorin nennt eine Flut von Zahlen, die als Zuhörer kaum zu erfassen sind. Aber sie erreichen schwindelerregende Höhen, ebenso wie die Schiffe, die grösser als der Markusdom sind und Wassermassen verdrängen, deren Wellenwucht Fassaden und Uferbefestigungen Venedigs zerstören. Donna Leons Wut richtet sich gegen die ignoranten Behörden und die Wenigen, die von den Touristenströmen profitieren und die Schiffe daher willkommen heissen. Bürgerinitiativen und Petitionen verhallten bisher ungehört. Doch eines Tages werde die Stadt von den Langzeitfolgen eingeholt, prophezeit sie. In diesem politisch-emotionalen Thema erscheint auch Donna Leon als eine Botschafterin des Volkes fürs Volk.

Eine weitere Musikeinlage hilft, die schwer verdaulichen Informationen zu verkraften. Das Ensemble spielt zum Abschluss Antonio Vivaldis Concerto ‹alla rustica› in G-Dur, RV 151. Mit tosendem Applaus werden Orchester und Autorin zu einer Zugabe überredet, um unter weiterem verdientem Applaus die Bühne Richtung Bücher- und Signiertisch zu verlassen. Ich kann nicht widerstehen! Ansonsten eher ein Verächter von Autogrammjägern, die leerem Gekritzel so viel Wert beimessen, stelle ich mich heute in die lange Schlange. Auch wenn Donna Leon für einmal nicht mit Commissario Brunetti angereist ist, verlasse ich mit breitem Grinsen und zwei signierten Büchern den Ballsaal: «Gondola – Geschichten und Lieder über das schönste Boot der Welt» und Commissario Brunettis neustem Fall.

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