Faschismus ante portas
Die Veranstaltung
Was: Italienische Nacht
Wo: Theater der Künste, Bühne A
Wann: 07.06.2013 bis 22.06.2013
Bereich: Theater
Der Autor
Nicolas Bollinger: Jahrgang 1984. Schreibt für das Bieler Tagblatt. Studierte Philosophie und Germanistik an der Universität Bern und derzeit Journalismus am MAZ Luzern und an der Henri-Nannen-Schule in Hamburg.
Die Kritik
Lektorat: Moritz Weber.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Zürcher Hochschule der Künste (siehe Unabhängigkeit).
Von Nicolas Bollinger, 9.6.2013
«Von einer akuten Bedrohung der demokratischen Republik kann natürlich keineswegs gesprochen werden. Schon weil es der Reaktion an einem ideologischen Unterbau mangelt. […] Kameraden! Solange es einen republikanischen Schutzverband gibt, und solange ich hier die Ehre habe, Vorsitzender der hiesigen Ortsgruppe zu sein, solange kann die Republik ruhig schlafen!»
Verunmöglichter Widerstand
Es ist exakt dieses Selbstverständnis, dass das blosse eigene Vorhandensein und nicht konkretes Handeln die angestrebten politischen und gesellschaftlichen Ziele erreichen lässt. Dieses Verständnis wird der sich als demokratisch verstehenden Öffentlichkeit schliesslich zum Verhängnis werden; die völlige Unfähigkeit, dem Feind etwas entgegenzusetzen.
1930 in einer süddeutschen Kleinstadt. Während die Faschisten einen deutschen Tag begehen wollen, hat der sozialdemokratische «republikanische Schutzverband» für den selben Abend im selben Lokal eine «italienische Nacht» geplant. Statt sich jedoch mit vereinten Kräften der braunen Bedrohung entgegenzustellen, lähmen sich die Republikaner jedoch nur gegenseitig durch interne Streitereien und ideologische Grabenkämpfe. Die Gruppe entlarvt sich dabei als gesellschaftlicher Mikrokosmos, in welchem das sture Beharren auf der Richtigkeit der eigenen Position jeglichen Konsens verunmöglicht.
Martin, der junge idealistische Klassenkämpfer plädiert für bewaffneten Widerstand, doch sein Anliegen verhallt ungehört. Karl, der Musiker, hält sich als Künstler für intellektuell überlegen und sorgt innerhalb der Gruppe nur durch seine zahlreichen Frauengeschichten für Aufsehen. Der republikanische Stadtrat Alfons entpuppt sich als Spiesser, der in aller Öffentlichkeit seine Frau gängelt und blossstellt und durch heimliche Landkäufe Zweifel an seiner marxistischen Gesinnung aufkommen lässt. Die unter seiner Schirmherrschaft stehende italienische Nacht verkommt zum seichten Unterhaltungsabend, in dessen Verlauf die Gruppe sich vollends verkracht. Die Faschisten haben das Lokal derweil längst umzingelt.
Licht und Schatten
In seinem 1931 uraufgeführten Volksstück „Italienische Nacht“ thematisierte Ödön von Horváth die politischen Verhältnisse der späten Weimarer Republik. Anknüpfungspunkte und Möglichkeiten, einen kritischen Bezug zur Gegenwart herzustellen, böte die Vorlage jedenfalls zuhauf. Regisseurin Karoline Kunz hat darauf allerdings verzichtet und inszeniert ihre Version sehr nahe an der Originalfassung. Ob diese Entscheidung richtig war, ist fraglich, ist die Aufführung doch vor langatmigen Passagen nicht gefeit. Vielleicht ist das der Werktreue oder dem weitgehenden Verzicht auf grössere inszenatorische Kniffe geschuldet.
Die schauspielerischen Leistungen in diesem Diplomprojekt des Bachelors Theater, Vertiefung Schauspiel, der Zürcher Hochschule der Künste sind jedoch durchgehend hervorragend. Felix Utting verkörpert den Stadtrat Alfons Ammetsberger mit einer nahezu dämonisch wirkenden Präsenz. Doch auch das Kollektiv überzeugt: Die republikanischen Streitereien während des Unterhaltungsabends werden in Form einer exzellent choreografierten Gruppenleistung als Maskenspiel inszeniert.
Was an diesem Abend auf der Bühne A des Theaters der Künste gezeigt wurde, vermochte inhaltlich zwar nicht auf der ganzen Linie überzeugen, ein erstklassiges Schauspiel war es jedoch zweifellos.