Hausbesuch in der Peripherie

Die Veranstaltung
Was: Gastspiele in der Grünau
Wo: Grünau
Wann: 04.10.2013 bis 07.10.2013
Bereiche: Performance, Tanz, Theater
Die Autorin
Esther Becker: Nach einem Theaterstudium an der Zürcher Hochschule der Künste und der Hochschule der Künste Bern studiert Esther Becker momentan literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. Sie arbeitet als freie Autorin und Performerin (www.bignotwendigkeit.de) und schreibt regelmässig für die Fabrikzeitung der Roten Fabirk Zürich.
Die Kritik
Lektorat: Fabienne Schmuki.
Von Esther Becker, 7.10.2013
Hausbesuch in der PeripherieDas Konzept der ortsspezifischen Performances, die ausserhalb von konventionellen Theaterräumen stattfinden, ist nicht neu. In der 2002 von Matthias Lilienthal konzipierten Veranstaltungsreihe «X-Wohnungen» wurden mehrere Privatwohnungen bespielt. «Ciudades Parralelas» (Kaegi/Arias), zunächst in Berlin, Buenos Aires und Warschau, führte die Zuschauer 2011 in der Zürcher Version u.a. in eine Chipsfabrik. Mit «Gastspiel» nimmt Zürich nun im biennalen Rhythmus ein ähnliches Format auf, dieses Jahr in der Grünau.
Gut, dass ich mit dem Ticket einen Lageplan bekommt. Vom Zuschauer werden im Vorfeld wegweisende Entscheidungen gefordert, nicht nur in geographischem Sinne. Nebst den Spielorten, die gefunden werden wollen, kann / darf / muss ich mir meine Hausbesuchstour selbst zusammenstellen. Was ein wenig Recherche im Vorhinein bedeutet, je nachdem wie sehr man sich überraschen lassen möchte. Ein Risiko, das einzugehen man gewillt sein mag, da einen kein dreistündiges Epos erwartet, sondern drei je halbstündige Performances.
Einstieg
Die Auswahl der Produktionen ist sehr vielseitig, allerdings läuft nicht alles über die drei Tage hinweg. Ich entscheide mich für zwei als ortsspezifisch beschriebene Arbeiten, den Altersheimbesuch mit Cie. Frakt und die Grottenexpedition mit Balz Isler, und beginne den Abend mit der Cie. Sündenbock unter der Regie von Fiamma Camesi. «Orakel Labor 1. Das entzieht sich meiner Kenntnis» findet in der Küche einer Wohnung am Grünauring statt. Ich beobachte einen im Halbdunkel am Küchentisch schlafenden Mann, zu dem eine Frau tritt, die seltsame Rechtecke auf ein Papier zeichnet und den Schlafenden fotografiert. Hinter ihnen läuft eine Videoprojektion (von Nicole Biermeier), die fast dasselbe zeigt, was live geschieht, aber eben nur fast, und das ist das Geniale daran. Die Asynchronität zwischen Live-Aktion und Video eröffnet eine neue Dimension. Ist es die Zukunft, die wir dort sehen können, die Vergangenheit oder ein (Wunsch)traum? Die Details im Setting – wie etwa die einer Kristallkugel ähnlichen weissen Lampe, oder weisses Plastikbesteck, mit dem der Mann später rücklings ein Weinglas zu treffen versucht –, sind klug und präzise eingesetzt.
Die Frau geht, der Mann erwacht, und wird von einer weiteren Frau, die in die melancholische Stimmung hereinplatzt, gefragt, was er alles tun würde, um seine Exfreundin zurück zu gewinnen. Aufs Biertrinken verzichten? Oder sich gar den kleinen Finger abschneiden? Der dialogische Teil fällt in seiner Eindeutigkeit leider etwas ab, ist man so verwöhnt von der Subtilität und Magie der Sequenzen ohne gesprochenen Text, die nach diesem Intermezzo wieder weitergesponnen werden. Dieses insgesamt gelungene Etappenziel im Wohnzimmer macht Lust auf das fertige Stück: «Alles wird gut» wird im März 2014 im Théâtre de l’Arsenic in Lausanne zu sehen sein.
Abstieg
Der Ausflug in die «Grotta Grünau» begann vielversprechend, doch so gern ich Balz Isler, in Sicherheitsweste und Helm gekleidet, ausgerüstet mit diversen Technischen Spielereien, Mini-Beamer, Mini-Boxen, Loopgeräten etc. folgen wollte – ich blieb auf Dauer aussen vor. Was unter anderem daran lag, dass er seine Materialsammlung so unentschieden präsentierte, dass jedes einzelne Element, das an und für sich sehr viel Potential haben könnte, in der Menge unterging. Sein Vortrag wechselte ohne nachvollziehbare Motivation zwischen vorproduziertem Video auf dem i-Pad und Live-Lesung mit Gesangseinlagen. Viel gewollt, doch von Verdichtung jeglicher Art keine Spur, man hätte sich eine(n) hart durchgreifende(n) DramaturgIn gewünscht. So blieb der Rundumschlag mit Hang zum Pädagogischen mehrheitlich an der Oberfläche. Oder sollte ich sagen: In der Peripherie.
Ausstieg
Der Besuch im Altersheim von der Cie. Frakt. Anstatt einer Theaterarbeit, die, laut Ankündigungstext, vom «virtuosen Umgang mit vorgefundenen Begebenheiten» geprägt sei, wohnte ich einem platten Sketch auf Schultheaterniveau bei. Dessen Inhalt bestand darin, dass ein schmieriger Fernsehreporter die jüngste Heimbewohnerin der Schweiz darüber ausfragt, warum sie mit 27 Jahren schon ins Altersheim gezogen sei. Vorher bittet er sie noch eine alte Strickjacke über ihr schwarzes Kleid zu ziehen, für das Fernsehpublikum müsse alles «total eindeutig sein». Total eindeutig war leider auch alles, aber wirklich alles an der Inszenierung. Vom Text, welcher zwischendurch auch noch mit pseudopolitischen Häppchen wie der «Bankenkrise» aufgewartet wurde, bis hin zum pseudo-partizipativen Umgang mit den Zuschauern, in Form des obligatorischen der-Moderator-übt-mit-dem-Studiopublikum-die-Klatschkommandos.
Dass das Ganze im Foyer des Alterheims stattfand, bot keinerlei Mehrwert und hatte auch keine Konsequenzen. Das Stück hätte überall stattfinden können. Ortsspezifität gleich null. Die Heimbewohner blieben dieser Veranstaltung wohlwissend fern, waren bei der (auch im Stück erwähnten) Trachtengruppe nebenan. Das einzig Interessante an «Heimwärts» war die Information, dass ein Tag im Altersheim Grünau 130 Franken kostet. Sofern das anständig recherchiert worden war.
Versöhnt wurde ich auf dem Nachhauseweg von einer kleinen Performance an der Tramhaltestelle Bändliweg. Die hatte allerdings nichts mit dem Gastspiel-Festival zu tun: Ein Fuchs trabte neben mir über den Bürgersteig. Dafür hat sich mein Ausflug in die Peripherie auf jeden Fall gelohnt.