Moderne Musik intim

Die Veranstaltung
Was: Feigels Mosaik. Ein inszeniertes Konzert
Wo: Theater Rigiblick
Wann: 22.03.2013
Bereich: Musik
Die Autorin
Antonia Steger: Jahrgang 1988, studiert Germanistik und Kulturanalyse im Master, arbeitet daneben im Ausstellungsbereich (Kommunikation/Redaktion).
Die Kritik
Lektorat: Patricia Schmidt.
Dieser Beitrag wurde durch eine Patenschaft ermöglicht. Herzlichen Dank (siehe Unabhängigkeit).
Von Antonia Steger, 30.3.2013
Das Stück «Feigels Mosaik» endet nicht mit einem Paukenschlag, sondern in Trance. Grosse Fragezeichen: Was hat man eigentlich gerade erlebt? Sicher ist nur, dass diese merkwürdige Aufführung im Theater Rigiblick unter die Haut kroch.
Der Schweizer Komponist Beat Gysin konzipiert in seinen zeitgenössischen Musikprojekten immer wieder den Raum als Teil der Komposition. So auch in seiner neusten Aufführung, die mit «inszeniertes Konzert in acht Raumanordnungen» untertitelt ist und Gedichte von Suzanne Feigel musikalisch-szenisch umsetzt.
Bruch mit Hörtraditionen
Das Ensemble aus acht Vokalstimmen, Querflöte, Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier ist mit komplexer Elektronik ergänzt. Lautsprecher stehen überall im Raum, auch hinter dem Rücken des Publikums. Schnell wird klar: Das eindimensionale Hören, das die Anlage zu Hause oder der Kopfhörer uns angewöhnt, wird hier radikal aufgebrochen. Die Musik – die Geräusche, der Rhythmus – startet klassisch auf der Bühne und wandert immer weiter in den Zuschauerraum hinein. Sie fliesst plötzlich von der Seite, knistert von hinten in den Rücken.
Und dann werden dem Publikum offene Kopfhörer aufgesetzt. Die Musik von aussen ist noch gut hörbar, wird nun jedoch durch leise Einspielungen ergänzt. Unglaublich eindringlich: Während die Musik draussen weiterspielt, tönt eine Stimme aus dem Kopfhörer – unentschieden zwischen lustvollem Stöhnen, schmerzhaftem Schreien und kindlichem Kichern erzeugt sie einen so intimen Raum, dass das künstlerische Geschehen einen augenblicklich persönlich angeht.
Bruch mit Aufführtraditionen
Das komplexe Hörerlebnis wird auf der Bühne visuell umgesetzt. Halbtransparente, verschieden leuchtende Glaswände erzeugen Stimmungen, die sich mit der Musik vermischen. Erst stehen die Wände trotzig zwischen Musiker und Publikum, dann türmen sie sich im Hintergrund auf, einmal durchschneiden sie schräg den Raum.
Auch die Musiker stehen nicht wie gewohnt als Monolithen auf der Bühne. Sie wandern mit jeder Raumanordnung, gruppieren sich, treten ein Mal als Ensemble und ein anderes Mal als sich zumusizierende Vereinzelte auf. Sie treten schliesslich ab der Bühne, dringen in den Zuhörerraum. Sie lassen ihre Stimmen in die Nacken des Publikums fallen, bis in der letzten Raumanordnung schliesslich auch der Dirigent hinter den Rücken verschwindet, der Raum abgedunkelt wird und der Zuhörer nun vollständig im Musikstück integriert ist.
Präzis-chaotisches Klangmosaik
Die Distanz zur Aufführung, welche in der klassischen Kunstmusik so typisch ist, verschwindet in diesem unkonventionellen Konzert. Die Musik drängt sich regelrecht auf, wird intim. Und gleichzeitig eröffnet sie Klangräume, die dem Zuhörer und Zuschauer noch völlig neu sind. Das scheinbar Chaotische dieser Musik, das Zufällige, ist minutiös komponiert. Das Aufgebrochene, die Teile, die Raumrichtungen, fügen sich alle zu einem Klangmosaik, das zuletzt doch wieder als Ganzes und durch seine Intimität als ureigene Erfahrung in Erinnerung bleibt.
Zeitgenössische Kunstmusik hat es üblicherweise schwierig, ein verständnisvolles Publikum zu finden. Jedoch ist «Feigels Mosaik» durch seinen Ideenreichtum genug unterhaltsam, um neues Publikum anzulocken. Unsinnig ist es jedenfalls bestimmt, das existierende YouTube-Video anzuschauen und das Gefühl zu haben, das könne in irgendeiner Weise ein Ersatz für den Konzertbesuch sein.