«Die Wand» im Theater

Die Veranstaltung
Was: Die Wand
Wo: Theater am Gleis, Winterthur
Wann: 27.02.2013 bis 02.03.2013
Bereich: Theater
Der Autor
Christian Felix: Jahrgang 1960, arbeitet seit 2004 selbstständig als Drehbuchautor. Daneben schreibt er Reden, Buchkritiken, Zeitungs-/Magazinartikel, sowie Editorials (www.christianfelix.ch)
Die Kritik
Lektorat: Fabienne Schmuki.
Diese Kritik wurde in Auftrag gegeben und bezahlt von: Eva Lenherrs Projekte (siehe Unabhängigkeit).
Von Christian Felix, 28.2.2013
Im Theater steht von Natur aus eine unsichtbare, unzerstörbare Wand zwischen Bühne und Publikum. Diesseits befinden sich die Zuschauer in ihrer Realität des Theaterbesuchs. Jenseits stellen Schauspieler etwas dar, das im Jetzt und Hier nicht existiert. Diese Wand war in der Premiere von «Die Wand» (nach dem gleichnamigen Roman von Marlen Haushofer) mit Händen zu fassen, was hier als Lob zu verstehen ist – auch wenn das moderne Theater verschiedentlich versucht, die beschriebene Wand zu sprengen.
Die perfekte Illusion
Die Protagonistin Eva Lenherr entführte das Publikum mit ihrem eindringlichen Spiel aus dem Theatersaal, weit fort in die Welt der erzählten Geschichte. Darin unternimmt die Ich-Erzählerin mit Freunden einen harmlosen Wochenendausflug ins Gebirge. Während die anderen noch auf einen Umtrunk ins Dorf fahren, bleibt sie zurück im Jagdhaus. Am nächsten Morgen wacht die Frau zu ihrer Verwunderung allein auf. Sie bricht auf in Richtung Tal, stösst jedoch auf dem Weg dahin auf eine unsichtbare Wand. Jenseits davon ist alles tot. So beginnt eine Robinsonade. In ihrem Verlauf wandelt sich die Wand immer stärker zur Metapher. Sie erweist sich als Membran, die das Ich von seiner Umwelt scheidet. Die Wand verkörpert die unüberwindliche Grenze zwischen innen und aussen. Die Erzählerin schottet sich ab und findet im Alleinsein ihr Selbst.
Eva Lenherr entführt den Zuschauer wirkungsvoll auf eine Bergwiese, so dass man die Blumen und Kräuter fast riechen kann, und sie schildert ein Gewitter so, dass man sich unwillkürlich vor den Blitzen duckt. Die Schauspielerin trägt Stellen aus dem Buchtext vor, wodurch zunächst einmal die literarische Meisterschaft der Marlene Haushofer zur Geltung kommt. Die Auswahl der Textstellen und ihre Montage sind indes bereits eine Leistung der Bühnenbearbeitung. Eva Lenherr wiederum gelingt es, den Text dramatisch aufzuladen.
Eine Neuinterpretation
Einen schweren Stand hat, wer ein gelungenes Buch verfilmt oder auf die Bühne bringt. Er tritt gegen fixe Erwartungen in den Köpfen der Zuschauer an. So zeigt Eva Lenherr eine angespannte, nahezu dem Irrsinn verfallene Einsiedlerin, während die Frau im Buch gelassener und vernünftiger wirkt. Doch Eva Lenherr setzt ihre Sichtweise des Textes durch und verschafft ihr Glaubwürdigkeit. Gerade weil sie sich die Freiheit für eine persönliche Interpretation nimmt, besteht sie auch neben dem Buchtext. Das ist eine eindrückliche Leistung, zumal sie die Rolle zwei Stunden lang ohne Pause ganz allein spielt.
«Ganz allein» – das stimmt nicht ganz. Eva Lenherrs Spiel wird musikalisch begleitet. Die Komposition des «Ensemble TaG Neue Musik Winterthur» bietet mehr als blosse Unterstützung der Handlung im Stil von Filmmusik. Es ist ein eigenes Musikstück, das durch Poesie im Klang fasziniert. Gleichwohl gelingt den Musikern der Einklang mit der vorgetragenen Erzählung. Nie überkleistern die Instrumente die teilweise feinen Nuancen des Schauspiels. Das wiederum ist auch der Sprechtechnik Eva Lenherrs zu verdanken, die selbst leise Stellen mit Musikbegleitung im Raum zur Geltung bringt.
Einige wenige Stellen im Text werden ab Tonband gespielt, einige Passagen erzählt Eva Lenherr auf Berndeutsch. Damit wandelt sie die Tonart der Erzählung und erschafft eine zweite Gefühlsebene – ein dramaturgischer Trick mit verblüffender Wirkung. Das Bühnenbild ist so simpel wie genial. Es besteht aus Plastikbechern, mit denen so einiges geschieht. Mit diesen einfachen Mitteln wirkt die Inszenierung – doppelt unterstrichen! – völlig ungekünstelt.