Gottesanbeterin on, Gottesanbeterin off

Die Veranstaltung
Was: Die Gottesanbeterin
Wo: Schauspielhaus, Pfauen/Kammer
Wann: 11.03.2013
Bereich: Theater
Der Autor
Christian Felix: Jahrgang 1960, arbeitet seit 2004 selbstständig als Drehbuchautor. Daneben schreibt er Reden, Buchkritiken, Zeitungs-/Magazinartikel, sowie Editorials (www.christianfelix.ch)
Die Kritik
Lektorat: Patricia Schmidt.
Von Christian Felix, 12.3.2013
Montagabend, Premiere in der Kammer des Schauspielhauses. Das Stück «Die Gottesanbeterin» (Anna Papst) erhält begeisterten Applaus. In der Tat zeigt es beachtliche Stärken. Als Ganzes funktioniert es dennoch nicht.
Die Fabel der Geschichte ist schnell erzählt . Eine Lehrerin hat Gottesvisionen und gründet eine Religionsgemeinschaft. Ihre mannstolle Schwester fasst sich darob an den Kopf, während ein Junkie, den die Frauen von der Strasse auflesen, zum geldgierigen Geschäftsführer der Sekte aufsteigt. Wegen ihres religiösen Wahns wird die Lehrerin aus dem Schuldienst entlassen und erleidet einen Zusammenbruch. Daraufhin macht ein befreundeter Psychiater mit seinen Pillen den Gottesvisionen den Garaus. Insgesamt ist es eine etwas dünne Geschichte. Das allein heisst aber noch gar nichts.
Lebendige Charaktere
Die Aufführung hat andere Qualitäten. Da sind die Bühnengestaltung und die Kostüme hervorzuheben, was hier jedoch nicht im Mittelpunkt steht. Besonders beeindruckt hat die Figurengestaltung. Die Rolle, die Funktion der Charaktere kommen im Schauspiel klar zum Ausdruck. Dies ist der Vorteil der einfachen Fabel. Da ist die lebenssüchtige aber etwas naive Schwester Meret (Yanna Rüger). Sodann Peter (Christian Baumbach), zuerst ein Haufen Elend, doch bald herrischer Liebhaber beider Frauen. Ferner der übermächtige und kaltherzige Psychiater Stefan (Alexander Maria Schmidt) mit seiner verzweifelten, krebskranken Frau Carina (Julie Bräuning). Im Mittelpunkt, wie Gott zwischen den vier Erzengeln, steht Rita (Julia Kreusch), die Gottesanbeterin. Sie frömmelt, frohlockt, droht, wimmert, singt, ist am Ende leer geschossen und am Boden. Sie spielt bravourös eine ganze Palette von Gefühlsregungen. Perfekt und mit einem Schuss Humor gibt sie die Sektentante in ihrem ganzen religiösen Eifer und Geifer.
Dennoch mag Rita als Figur nicht mitzureissen. Gewiss, die Szenen im Stück sind flüssig geschrieben; der Dialog ist witzig und schnell. Doch die Hauptfigur durchlebt keinen inneren Konflikt und wird zu keinen Entscheidungen gedrängt. Rita folgt den Anweisungen Gottes. Ihre Religiosität wird von Pillen an- und abgestellt. Statt eines lebendigen Charakters steht hier eine Marionette auf der Bühne. Dieser grundlegende Konstruktionsfehler des Stücks verhindert eine wirkliche Dramatik. Das Drama plätschert gefällig, aber ohne jegliche Spannung dahin. Es ist absehbar, was geschieht. Überraschende Wendungen fehlen. Unter diesen Voraussetzungen wird «Die Gottesanbeterin» natürlich auch nicht zum Charakterstück. Man muss es an seinen Aussagen und deren Relevanz messen.
Schwächen im Theaterstück
Doch genau in diesem Punkt versagt das Stück. Manche Aussagen, die es vermitteln will, wie: «Religion ist oft mit Geldgier verbunden», oder «Die Psychiatrie arbeitet mit Pillen» sind Binsenweisheiten. Sie werden eins zu eins, plump und linear, transportiert, ohne Augenzwinkern, ohne Zwischentöne, ohne Doppelsinn. Das wirkt ungelenkt. Geradezu fahrlässig wird das Stück, wenn es – ohne jeglichen Bezug zur tatsächlichen modernen Psychiatrie – den Psychiater als grob klischierten Bösewicht hinstellt. So triumphiert am Ende der Wunderglaube, die unverhüllte Anti-Aufklärung. Befremdend.
«Die Gottesanbeterin» weist als Stück auch wenig über sich hinaus. Es wird höchstens die Frage gestreift, ob zwischen Wahn und Pille noch eine menschliche Wirklichkeit besteht. Im Übrigen ist es schlicht ein Stück über das fanatische Christentum. Dies in einer Zeit, in der die christliche Religiosität drastisch schwindet. Die Frage, warum man ein solches Stück gesehen haben muss, ist so nicht zu beantworten – ausser vielleicht der Regie und der jungen Schauspieler wegen. Sie überdrehen zwar in gewissen Szenen. Sie geben zuviel Pfeffer. Grosse Schauspieler können flüstern ohne zu flüstern, sie schreien ohne zu schreien. Das gilt gerade für ein Kammerspiel! Davon abgesehen bringen die fünf Darsteller jedoch viel Talent auf die Bühne. Man wünschte ihnen einfach ein aufregenderes Stück.