Und nichts passiert

kulturkritik.ch - Bildmaterial zur Verfügung gestellt

Die Veranstaltung

Was: Ben Russel und Ben Rivers: A Spell to Ward Off the Darkness
Wo: Filmfestival Locarno, Fuori concorso
Wann: 08.08.2013
Bereiche: Film+Fotografie, Locarno Film Festival 2013

Filmfestival Locarno

Kulturkritik ist am 66. Filmfestival Locarno. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.

Die Autorin

Miriam Suter: Jahrgang 1988, Kulturredaktorin und freie Journalistin, Gründerin und Chefredaktion Moustache Magazin. Fährt so oft sie kann nach Paris und hofft, dort bald ihren ersten Roman zu Ende schreiben zu können.

Die Kritik

Lektorat: Nina Laky.

Von Miriam Suter, 25.8.2013

Es gibt Performancekünstler, die ihr Publikum durch ihr augenscheinliches Nichtstun herausfordern und berühren können – oder es zumindest ratlos zurück lassen. Die Künstler Ben Russell und Ben Rivers haben daraus einen Film gemacht. Oder?

Der Film „A Spell to Ward Off the Darkness“ begleitet den Performancekünstler Robert A.A. Lowe, auch bekannt unter seinem Pseudonym Lichens, während drei Episoden seines Lebens. Gefilmt wurde während drei Jahren. Die beiden Regisseure fungieren dabei gleichzeitig als Kameramänner, der ganze Film ist mit Handkamera aufgenommen. Wir sehen Robert als Mitglied einer Hippie-Kommune auf einer estnischen Insel, alleine auf Wanderung durch Norwegens Wildnis und als Sänger und Bassisten einer Metal-Band bei einem Auftritt in Oslo. Während dem ganzen dokumentarischen Film passiert…nicht viel. Robert selber spricht in den 98 Minuten kein Wort und auch sonst ist „A Spell to Ward Off the Darkness“ vor allem im mittleren Teil ein sehr ruhiger, fast melancholischer Film: Es gibt Sequenzen, da filmt die Kamera etwa vergilbte Zeitschriften in Roberts Hütte, in der er während seinen Wanderungen in Norwegen wohnt. Und wir sehen nur diese Zeitschriften. Ohne musikalische Untermalung, ohne Soundeffekte, ohne, dass jemand die Zeitschriften anfasst oder wegnimmt. Oder wir sehen Robert, der mit seinem Rucksack durch ein verlassenes Tal marschiert und schliesslich hinter einem Felsen verschwindet. Danach sehen wir, dass nichts passiert. Die Kamera verharrt während zähen Sekunden, gefühlten Minuten, in ihrer Position, ohne dass Robert nochmals zum Vorschein käme.

Etwas lebendiger geht es immerhin im ersten Teil zu, hier sind wir bei Diskussionen darüber dabei, wann der Mensch beim Tanzen zu einem Teil der Musik wird, und ob das Trance-Genre deshalb so genannt wird. Robert selber allerdings bleibt stiller Zuhörer. Der Zuschauer hat keine Möglichkeit, ihn als Menschen zu fassen, seine Gedanken oder Meinungen zu erahnen. Er bleibt deshalb unnahbar und unfassbar für den Zuschauer, was dem Film leider eine gewisse Oberflächlichkeit und Belanglosigkeit beschert. Ob der Film durch das Schweigen seines Protagonisten den Zuschauer zum Nachdenken anregen will? Dafür wird man von den Regisseuren etwas zu sehr alleine gelassen.

Performancekunst ist ein weitläufiger Begriff. Nicht immer muss das Publikum mit einbezogen werden, allerdings sollte es Ziel des Künstlers sein, etwas bei seinen Zuschauern auszulösen, ihnen etwas mit auf den Weg zu geben. Das kann auch durch reines Nichtstun (zumindest augenscheinliches) geschehen. Die Künstlerin Marina Abramović aus Belgrad ist eine Meisterin auf diesem Gebiet. Sie selbst bleibt in einigen ihrer Performances still und unbewegt und fordert genau dadurch ihre Betrachter zum Handeln, zum Fühlen und mit ihr Ausharren heraus.  Die grösste mediale Aufmerksamkeit erreichte sie  2010 mit der Performance „The Artist Is Present“, die während drei Monaten im New Yorker Museum of Modern Art statt fand. Marina sass während den gesamten Öffnungszeiten des Museums an einem Tisch, die Besucher konnten sich ihr gegenüber setzen und Marina tat, genau, nichts. Viele Besucher brachen nach einigen Minuten in Tränen aus und wirkten tatsächlich so, als ob Marina ihr Innerstes berührt und umgekrempelt hätte.

Nichts aktiv zu tun heisst also nicht, dass nichts passiert. Anders bei „A Spell to Ward Off the Darkness“. Der Zuschauer spürt Protagonist Robert kaum, einzig zum Schluss, als der Künstler mit einer Metal-Band auf der Bühne steht, und die Kamera neue Blickwinkel einnimmt – wir sehen etwa, wie das Make-Up der Bandmitglieder langsam zerläuft, wie sich sehnige Hände und Finger an Gitarrenhälsen festklammern und wie sich eine Kehle für ein gespenstisches Schreien öffnet. Danach verlässt Robert, natürlich wortlos, die Bühne, wischt sich im Backstage die Schminke aus dem Gesicht und verlässt den Club. Er verschwindet in die Dunkelheit. Hier öffnen die Filmemacher einen Raum, der Zugänglichkeit und Spüren verspräche, lassen die Möglichkeit aber leider wieder verstreichen. Wollen die Filmemacher ihr Publikum hier fragen: In welche Dunkelheit trittst du hinaus? Welche Maske läuft dir irgendwann übers Gesicht? Leider fehlt auch hier das Bisschen an Zuschauer-Führung, das ein Film grundsätzlich mitbringen sollte.

Man kann sich jedoch Gedanken darüber machen, ob der ganze Film überhaupt ein Film sein will oder eine einzige Performance ist. Ob Ben Russel und Ben Rivers ihr Publikum auf die Probe stellen wollen, ob sie austesten wollen, wie viel Nichts das Kinopublikum erträgt. Und ob es dem Film wirklich gelingt, Fiktion und Dokumentation zu verwischen und dadurch eine utopische Realität zu produzieren – so zumindest beschreiben die Regisseure das Ziel ihres Films im Vorfeld des Filmfestivals in Locarno selber. Beide kommen als Medialkünstler und Experimentalfilmer ebenfalls aus der Kunstwelt. Falls das die Absicht der Regisseure war, haben sie ihr Ziel nicht erreicht. Dafür fehlt es dem Film an Tiefe, an aussagekräftigen Szenen und – ganz einfach – an Botschaften.

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