Ingeborg Bachmann und Max Frisch: Grosse, unmögliche Liebe

Die Veranstaltung
Was: Auf den Spuren von Ingeborg Bachmann & Max Frisch
Wo: Festivalzelt «Zürich liest»
Wann: 26.10.2013
Bereich: Zürich liest 2013
Zürich liest
Kulturkritik ist am Buchfestival Zürich liest. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Stephanie Rebonati: 1989. BA in Journalismus und Organisationskommunikation (IAM), aktuell MA of Arts in Art Education publizieren & vermitteln (ZHdK), als freie Journalistin für verschiedene Medien tätig.
Die Kritik
Lektorat: Janine Meyer.
Von Stephanie Rebonati, 28.10.2013
Sie, eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts, und er, der mit «Andorra», «Stiller» und «Homo faber» Eingang in den Schulkanon gefunden hatte, waren einander von 1958 bis 1962 die wichtigsten Personen. Ingeborg Bachmann und Max Frisch liebten und litten, sie lebten zusammen in Zürich und Rom, «vier Jahre, das ist lange für einen Sturzflug», sagte Frisch in einer Aufnahme, die 2001, zehn Jahre nach seinem Tod, im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt wurde. Er denke oft an sie, träume von ihr, nicht verbunden mit Schuldgefühlen, sondern mit Reue.
Die deutsche Schriftstellerin Ingeborg Gleichauf erzählt in «Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit» die Geschichte einer so grossen wie unmöglichen Liebe, im Oktober dieses Jahres im Piper Verlag erschienen. Im Rahmen des Literaturfestivals Zürich liest las Gleichauf in der Buchhandlung Zum Bücherparadies im Seefeld. Die Autorin sagte: «Die Erben von Ingeborg Bachmann sind überzeugt, dass Max Frisch sie in Rom umgebracht hat.» Im Publikum raunte jemand: «Dummes Gschnurr, das bringt uns jetzt ja auch nichts».
Der Lesung ging eine Stadtführung mit Germanist Walter Obgschlager, ein kleiner Mann mit warmen Augen und wippender Gangart, voran, er leitete während 27 Jahren das Max Frisch Archiv an der ETH Zürich. Den ersten Halt machte die bunte Gruppe – kahlgeschorener Mann mit Sonnenbrille und Kinderwagen, Studentin mit Notizheft und Lederrucksack, Paar mit Hornbrille, Chinohose und Tweedsakko – an der Kirchgasse 33, wenige Gehminuten vom Kunsthaus entfernt. Hier lebte Gottfried Keller, 1861 bis 1875 als Staatsschreiber. Wie die Bachmann aber im Oktober 1959 an diese Wohnung herangekommen sei, wisse er also wirklich nicht, sagte Obschlager lachend. Die Traube um ihn herum lachte mit.
«Jöh!» und «Ah!»
Nach der Kirchgasse der Heimplatz, «von dem die meisten Zürcher nicht wissen, dass er so heisst, alle nennen ihn Pfauen», sagte Obschlager. Leute beklagten sich, dass er zu leise spreche, er forderte sie auf, näher heranzurücken. Ein Raunen ging durch die Menge, «unmöglich ist das, eine Stadtführung ohne Mikrofon». Obschlager erklärte, dass der Heimplatz dem Deutschen Ignaz Heim gewidmet sei, dieser zog 1850 nach Zürich, leitete Gesangsvereine und dirigierte Kirchenchöre, «er kam hierher, als die Schweiz noch politische Flüchtlinge aufnahm», sagte der Stadtführer lachend. Die Traube verzog keine Miene. Obschlager hatte mehr Erfolg mit der nächsten Anekdote: Der Heimplatz wurde früher Schatzplatz genannt, weil er zwischen dem Knaben- und dem Mädchengymnasium lag. Die Gruppe sagte «Jöh!» und «Ah!».
Eine Frau mit rotem Haar und roten Lippen, bei ihrem Partner am Arm eingehängt, sagte diesem: «In Oerlikon wird ja der Max-Frisch-Platz gebaut, warum die alle dort draussen sind, Sophie-Täuber-Strasse, Max-Bill-Platz, weiss ja auch niemand.» Der Mann antwortete mit «shhh». Obschlager gab der Gruppe erneut Anlass zur Empörung, mit dem Bus ging es an den Hegibachplatz. «Und wenn man kein Billett hat?», fragte jemand und wurde ignoriert. Drei Minuten vom Hegibachplatz entfernt, an der Heliosstrasse 31, wurde Max Frisch geboren, «auf der Frauenseite». Die Hauseingänge der Nummern 31 und 33 liegen direkt nebeneinander, über der 31 ein weiblicher Steinkopf, daneben ein männlicher. Walter Obschlager las aus Frisch’ Rede, die er 1974 im «rammelvollen» Schauspielhaus, «das kann man sich heutzutage ja gar nicht mehr vorstellen!», anlässlich der Verleihung des Schillerpreises gab. Damals, am 12. Januar 1974, sagte Max Frisch: «Eine Ehrung aus der Heimat, und so sehe ich diesen Anlass, weckt vor allem die Frage, was eigentlich unter Heimat zu verstehen ist.» Obschlager zitierte den Anfang der Rede: «Liebe Landsleute, ich bin an der Heliosstrasse geboren, Quartier als Heimat». Der Traube gefiel das.
An der Feldeggstrasse 21, vor einem blass hellblauen Haus, blieb die Gruppe zum letzten Mal stehen. Dies war Ingeborg Bachmanns erstes Zuhause in Zürich. Nachdem sie und Max Frisch sich in Paris kennengelernt hatten, er war damals noch verheiratet, sie eben getrennt vom Lyriker Paul Celan, organisierte er diese Wohnung für sie – im Haus von Gottfried Honeggers Vater. Lange blieb sie nicht, «rasch verstösst sie gegen die Zürcher Sitten», würde Ingeborg Gleichauf eine Viertelstunde später in der Buchhandlung Zum Bücherparadies vorlesen.
Mit Ernst bei der Sache
Gleichauf wählte eine fragwürdige Stelle aus ihrem Buch. Klar, es machte Sinn einen Bezug zu Zürich herzustellen, da die Traube, die vorher eine Stunde durch Zürich gelaufen war, nun in einer Zürcher Buchhandlung sass. Die Autorin las über «die mangelnde Erregungsfähigkeit des Zürcher Theaterpublikums» und über «staubgesaugte Wiesen und polierte Berge». Ingeborg Bachmann mochte Zürich nicht, gewiss. Gleichauf las: «Für seinen Heimat- und Sehnsuchtsort hat Frischs Geliebte kein gutes Wort übrig» oder «Man sei mit Ernst bei der Sache in der Schweiz, gelacht werde nicht sehr viel».
Dem Zürcher Publikum gefiel das nicht. Eine Frau schüttelte den Kopf, «diese Deutschen wieder» und ein Mann eine Reihe hinter ihr sagte «shhh». Die grosse, unmögliche Liebe zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch spürte man an diesem Tag nicht. Vielleicht auch, weil man nicht wirklich viel über sie weiss, schliesslich gibt es keine gemeinsamen Fotos, in der Öffentlichkeit traten sie selten gemeinsam auf, vielmehr wird über die Beziehung spekuliert, in Werken der beiden nach Hinweisen gesucht. Sie waren von 1958 bis 1962 einander die wichtigsten Personen, gewiss, denn auch danach haben sie nicht aufgehört, sich in ihren Werken aufeinander zu beziehen. Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch ist allerdings gesperrt, solange sich die Rechteinhaber, das sind die Bachmann-Erben und die Max Frisch Stiftung, nicht über eine Veröffentlichung einigen können. Erst eine Briefedition wird über diese Liebe Aufschluss geben.
«Ingeborg Bachmann und Max Frisch. Eine Liebe zwischen Intimität und Öffentlichkeit», Ingeborg Gleichauf, Piper Verlag, Oktober 2013.