Mit Irrwitz dem Unmöglichem trotzen

Die Veranstaltung
Was: Africa – Luis Biasotto
Wo: Theater Spektakel, Landiwiese Süd
Wann: 26.08.2013 bis 28.08.2013
Bereiche: Theater, Theater Spektakel 2013
Theater Spektakel
Kulturkritik ist Partner des Theater Spektakels 2013. Wir begleiteten das Festival und berichteten live.
Die Autorin
Carmen Beyer: geboren 1986 in Berlin-Brandenburg, derzeit Studentin im Masterstudiengang «Kulturpublizistik» an der Zürcher Hochschule der Künste.
Die Kritik
Lektorat: Tabea Buri.
Von Carmen Beyer, 4.9.2013
Können Sie sich daran erinnern, wie Sie sich mit fünf Jahren bewegt haben? Oder können Sie sich einen Weg vorstellen, auf einer Bühne, unter den Augen der Zuschauer, unsichtbar zu werden? Versuchen Sie es ruhig, verzweifeln Sie jedoch nicht, wenn es Ihnen unmöglich erscheint.
Luis Biasottos Performance «África», die eventuell auch etwas mit Afrika zu tun hat, ist voll von solchen Unmöglichkeiten. Fünf Fragen – allesamt zum Wesen der Tanzperformance – hat sich der argentinische Choreograph und Regisseur zur Basis genommen, um sie in einer mehrteiligen Revue zu ergründen. Entstanden ist eine Reihe von Episoden, die mit ihren Zeitsprüngen an ein Buch erinnern sollen, bei dem immer wieder ein paar Kapitel übersprungen werden. So unterbricht eine Szene die andere, treten Tänzer und Darsteller unter Hupen oder tickenden Taktzählern auf und ab und geht fliessend ineinander, was keinen rationalen Zusammenhang zu haben scheint. Es ist eine erste Antwort, die Luis Biasotto gleich seinen aufgeworfenen Fragen mitliefert: Das Geschehen auf der Bühne ist unmöglich zu erklären.
Herrlich skurril, irrwitzig amüsant …
Was macht den Abend so schwer fassbar? Es ist die Vielfalt der irrwitzigen und amüsanten Einfälle, mit denen Biasotto sich und seine sieben Tänzer (und Nicht-Tänzer, aber dazu kommen wir noch) über die Bühne schickt: Da starren er und ein weiterer Performer minutenlang bewegungslos ins Publikum, steigern sich dann synchron in eine Gesichtsakrobatik, die alle Gefühlsregungen bietet; blubbern, prusten, zucken, krächzen Vokale auf und ab, dass einem die Worte ausgehen und einige Zuschauer vor Lachen und Staunen von den Stühlen zu kippen drohen. Und wer hier noch unbeeindruckt blieb, wirft seine Zurückhaltung sicherlich bei einer weiteren Szene der beiden über Bord: Dann nämlich schmieren sie sich Tonschlamm ins Gesicht, modellieren auf ihren Köpfen herrlich skurrile Masken und wandeln unter leisen Pfeiflauten wie Mutationen aus Tier und ausserirdischem Besuch über die Bühne.
Ähnlich unwiderstehlich absurd geht es auch in anderen Szenen zu. Eine Dame in hypnotischem Zebrastreifenkostüm tänzelt über die Bühne, bewegt sich in einer Mischung aus Mensch und Tier, schnauft, kickt, hüpft und deutet mit ihren Fingern am Kopf imaginäre Hörner an. Ihr gegenüber steht ein – ja, es muss gesagt werden – äußerst behaarter, nicht ganz schlanker Herr mit nacktem Oberkörper. Zuerst noch zögernd beginnt er schliesslich, sich ungeschickt ihren wilden Bewegungen anzuschließen, lässt auch nach vielen misslungenen Versuchen nicht ab, sie zu imitieren und nachzueifern. Doch was hier Lacher heraufbeschwört, trägt Biasottos durchgängigste Frage: Wie kann ein unbedarfter Körper die Bewegungen eines geschulten übernehmen?
… und doch philosophisch
Es sind auch solche Auftritte scheinbar untrainierter Darsteller, die rein gar nicht dem Ideal des professionellen Tänzers entsprechen, sondern das Verhältnis von Performern und Publikum hinterfragen. Keine stilisierte Choreographie bewegt sich dort über die Bühne, keine ästhetisch entrückten Tänzer stellen ihr artistisches Können zur Schau. Stattdessen werden die Darsteller als Menschen begreifbar. Besonders deutlich wird das, wenn eine selbstbezeichnete Nicht-Tänzerin die Zuschauer dazu einlädt, auf ihren nackten Körper zu schreiben und sie als Tafel für all dies zu verwenden, wofür sie sich schämen und deshalb gerne vergessen würden. Dabei wirkt die Einladung trotz der Blöße der Dame keineswegs provokant.
Kurz vor Ende des Abends heisst es zwar, «Das Einzige, an das Du dich erinnern wirst, wird ein Zebra in Afrika sein», doch das ist eine Untertreibung und wohl nur dem Titel geschuldet. Denn es präsentiert sich ein Werk, das Biasotto im Programmheft nicht umsonst die Bezeichnung des «Dada-Philosophen» der argentinischen Tanz- und Theaterszene einbrachte: Vielfältig, aberwitzig, selbstreflektierend und ein bisschen unmöglich zu beschreiben – auf diese Weise prägt sich «África» ins Gedächtnis ein.